Corona und Kleist

von Redaktion

SAISONSTART AM RESIDENZTHEATER Ulrich Rasche über „Das Erdbeben in Chili“

VON ALEXANDER ALTMANN

Seine Inszenierungen mögen düster-bedrohlich wirken, aber Ulrich Rasche selbst ist ein offener, heiterer Mensch, der Zuversicht ausstrahlt. Diesen Grund-Optimismus ließ sich der preisgekrönte Regisseur auch von Corona nicht rauben, denn offenbar hat er immer angenommen, dass es bald schon wieder weitergehen würde am Theater. Und so war er während des Lockdowns keineswegs untätig: „Ich konnte meine Bühnenbilder weiter bauen, die jetzt anstehen für die neue Saison, ich hab an den Textfassungen gearbeitet, aber auch sehr viel gelesen“, erzählt der gefeierte Theatermacher.

Seit seiner grandiosen Münchner „Räuber“-Inszenierung von 2016 hat Rasche immer wieder am Residenztheater gearbeitet, und zum Saisonstart nach der Seuchen-Pause bringt er dort heute Abend Heinrich von Kleists „Das Erdbeben in Chili“ auf die Bühne. Was insofern überrascht, als Rasche diese Novelle erst vor fünf Jahren in Bern fürs Theater adaptierte. Aber „die jetzige Inszenierung ist komplett neu: Wir haben einen ganz anderen Raum, ein anderes Bühnenbild, ein größeres Ensemble, eine veränderte Textaufteilung – und wir haben auch Fremdtexte integriert.“ Er habe sich entschieden, Kleists „Erdbeben“ noch einmal zu inszenieren, „als Corona kam“, erklärt Rasche. „Geplant war im Residenztheater ja ursprünglich ‚Familie Schroffenstein‘, auch von Kleist, aber da habe ich gesagt, das können wir später machen, denn gerade spüre ich das Bedürfnis, mich konkreter zur Situation zu äußern.“ Er habe vor allem auch ein chorisches Ensemble präsentieren wollen, eine Gemeinschaft, die sich an den Zuschauer wendet und mitteilt, was sie umtreibt: „Nachdem das Theater so lange geschlossen war, erwartet doch jeder, dass es jetzt eine Positionierung gibt“, meint Rasche, „dass das, was wir alle erlebt haben, in die Arbeit integriert wird, darauf wartet man.“

Und eben zu dem, was wir erlebt haben, gebe es in Kleists Novelle große Parallelen – aber auch zu dem, „was eventuell bevorsteht“, orakelt Rasche und klingt dabei dann doch etwas düster. Schließlich wird bei Kleist ja von den Überlebenden des Erdbebens die „Sünde“ eines nonkonformistischen, die Standesschranken missachtenden Liebespaares verantwortlich gemacht für die Naturkatastrophe – und das Paar darum von der Menge ermordet.

„Diese Mechanismen sind das Problem, um das es mir in der Inszenierung geht“, sagt der Regisseur, denn auch bei uns werde „die Pandemie von den verschiedensten Interessengruppen instrumentalisiert und ausgeschlachtet“. Je nach politischer Vorliebe sind die Sündenböcke dabei rasch gefunden: Präsident Trump beschuldigt China, Umweltschützer machen die Ausbeutung des Planeten für das Virus verantwortlich, wieder andere glauben, dem Impf-Freak Bill Gates käme so eine Pandemie gerade recht. Und aufschlussreich ist auch das Beispiel der vermeintlichen Superspreaderin von Garmisch-Partenkirchen, über die sich alle selbstgerecht empörten – zu Unrecht, wie dann ans Licht kam.

Auf das äußere Erscheinungsbild der Inszenierung wird sich die gegenwärtige Situation allerdings „erstaunlich wenig“ auswirken, erzählt Ulrich Rasche. Zwar seien die Proben und die gesamten Arbeitsumstände „extrem von den Hygienemaßnahmen bestimmt“. Trotzdem hat er, im Gegensatz zu vielen Regie-Kollegen, Glück: weil zu seiner spezifischen Theater-Ästhetik immer schon ein gewisser Abstand zwischen den Personen gehörte, musste er sich diesbezüglich überhaupt nicht umstellen.

Ungewöhnlich wirkt etwas anderes, das nichts mit der Corona-Situation zu tun hat: Statt rotierender Stahltürme oder wuchtiger Förderbänder, die das Markenzeichen des Bühnenbildners Ulrich Rasche sind, ist diesmal Minimalismus angesagt: „Der schöne Raum des Residenztheaters ist leer“, verrät der Regisseur, „die Backsteinwand ist frei. Es gibt keine Maschine, nur eine aufgelegte Scheibe, die sich dreht, und drei große Lichtobjekte, die ich entworfen habe.“ Es könnte also eine erhellende Aufführung werden.

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