Gezeichnete Weltmeister

von Redaktion

„Das Spiel der Brüder Werner“ erzählt eine Agentengeschichte vor dem Hintergrund der Fußball-WM 1974

VON GÜNTER KLEIN

Es ist eines der Fußballspiele, die man nie vergisst. Ein Spielzug und ein Name haben sich ins deutsche Gedächtnis gefräst: Jürgen Sparwasser aus Magdeburg mit dem Tor zum 1:0 – Sieg für die DDR bei der Weltmeisterschaft 1974 gegen die Bundesrepublik in Hamburg, Ost schlägt West im Klassenkampf, die „Bild“-Zeitung empört sich über den Bundestrainer: „So nicht, Herr Schön!“ Drüben in Ostberlin schließt man zufrieden die Akte zur „Operation Leder“.

Eine Geschichte zu diesem Spiel, das politisch so aufgeladen, aber eigentlich belanglos war, da beide deutsche Mannschaften sich schon für die nächste Runde des Turniers qualifiziert hatten, als sie aufeinandertrafen? Ja, gerne! Das verspricht die jetzt erschienene Graphic Novel „Das Spiel der Brüder Werner“ von Philippe Collin (Idee) und Sébastien Goethals (Zeichnungen), zwei Franzosen. Die Brüder Werner? Man schlägt das Buch neugierig auf – und ist ganz weit weg vom Fußball und vom Jahr 1974. Es beginnt am 8. Mai 1945, am Tag, als der Zweite Weltkrieg endet und zwei jüdische Waisen, Konrad und Andreas Werner, durch das zerstörte Berlin irren. Jemand liest sie auf und nimmt sie mit nach Leipzig. Da ist dann schon klar, dass hier der ganz große Bogen geschlagen werden soll – und tatsächlich endet die Story dann nicht knapp drei Jahrzehnte später mit dem WM-Spiel von 1974, sondern es gibt noch einen Nachklapp von 1992.

Nun denn: die Gebrüder Werner. Sie wachsen also auf im Osten, in dem der „Arbeiter- und Bauernstaat“ entsteht. Die Stasi krallt sie sich, bildet sie aus zu Agenten. Nach dem Bau der Mauer wird Konrad in die Bundesrepublik geschickt. Er soll Teil des westlichen Systems werden und es so infiltrieren. Der Aufstieg in der kapitalistischen Gesellschaft, die zu verachten er nicht aufhört, gelingt ihm. Er wird Betreuer der Fußball-Nationalmannschaft, Vertrauter von Paul Breitner, Franz Beckenbauer, Berti Vogts. Es ist wie beim Ost-Spion Günter Guillaume, der sich ins Kanzleramt schleicht.

Und Andreas, der im Osten zurückgebliebene Bruder Konrads? Hat denselben Führungsoffizier und die Aufgabe, sich ebenfalls im Sport zu bewähren. Er ist Physiotherapeut und somit Aufpasser der DDR-Fußballer – und wird das Team zur Weltmeisterschaft begleiten. Hier kommt es zum Zusammentreffen der Brüder, die sich zwölf Jahre nicht sehen durften und konnten – und sich natürlich auseinanderentwickelt haben. Konrad mit seiner West-Identität, West-Frau und Kindern, ist weiterhin überzeugter Sozialist, Andreas zweifelt an dem System, das er bislang verteidigt hat. Das muss zum Konflikt zwischen den beiden führen – und zur Frage, zu wem die Loyalität größer ist? Zur Idee oder zum Menschen?

Das ist spannend, doch auch der Punkt, an dem man als Leser in dieser Novelle über die Fallstricke der Logik stolpert. Denn dass bei den Mannschaften von BRD und DDR zwei Betreuer den gleichen Familiennamen tragen und – zumindest sind sie so gezeichnet – einander optisch sehr ähnlich sind, wäre auch 1974 aufgefallen und hätte in dieser deutsch-deutschen Konstellation zu Nachfragen geführt. Das Bild der Tarnung von Agenten stimmt hier einfach nicht. Das hätte Philippe Collin besser ausarbeiten können.

Auch geraten seine Dialoge bisweilen klischeehaft hölzern, etwa dieser: Helmut Schön: „Los, Jungs!! Ihr braucht vor nichts Angst zu haben, verdammt noch mal! Ihr seid viel stärker als diese Kommunisten“ – DDR-Trainer Georg Buschner: „Vergesst nicht, dass der Held des sozialistischen Fußballs nicht der Stürmer, sondern der Verteidiger ist!“.

Doch Sébastien Goethals’ Zeichnungen sind wunderbar. Besonders gut getroffen hat er den rauchenden, Rotwein trinkenden, um Prämien feilschenden West-Jungstar und Mao-Fan Paul Breitner und seinen Gegenspieler, den ihm in inniger Abneigung verbundenen stockkonservativen Franz Beckenbauer. Die BRD-Auswahl war heillos zerstritten – und die Spieler aus der DDR verführbar vom Konsumglanz des Westens. Das sind die Passagen der Geschichte, in denen man sich zu Hause fühlt.

Philippe Collin/ Sébastien Goethals:

„Das Spiel der Brüder Werner“. Splitter-Verlag, Bielefeld, 152 S.; 25 Euro.

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