Bryan Ferry. Das ist natürlich zum einen dieser Typ, der in seinen Maßanzügen und mit lässig in die Stirn hängender Locke immer wie aus dem Ei gepellt aussieht und vielen oft als eitler Fatzke galt, der mit seiner samtweichen Stimme Damen betört. Gleichzeitig ist dieser Bryan Ferry aber auch eine der großen prägenden Figuren der populären Musik, die Generationen von Musikern nachhaltig beeinflusst hat mit der phänomenalen Combo Roxy Music.
Als die Band 1972 ihre Debüt-LP auf den Markt wirft, rechnet keiner mit dem gewaltigen Echo. Bis dahin treten die Musiker in sehr kleinen Clubs auf, in denen sie ihre eigenwillige Melange aus New Wave, Punk und Elektropop aufführen, bevor diese Begriffe überhaupt erfunden sind. Bei Roxy Music ist nicht nur die Musik, sondern auch die Präsentation entscheidend. Dazu tragen auch die hochgradig provokativen Albumhüllen mit stets sehr luftig gekleideten Damen in mitunter irritierenden Posen bei. Riesenbohei wird damals darum gemacht, was Ferry fröhlich befeuert.
Zur Inszenierung gehört auch der Auftritt als Stilikone und Verführer. Ferry ist bereits ein Endzwanziger, war zuvor im Hauptberuf Lehrer und fühlt sich eigentlich zu alt für den Popzirkus. Deswegen wohl die ironische Distanz, das lässige Spiel mit Erwartungen und Klischees. Ferry, nach eigener Beschreibung außerordentlich schüchtern, genießt das süße Leben aber durchaus und stellt Roxy Music smart als Gegenentwurf zu anderen Rocksensationen wie Led Zeppelin dar. „Andere Bands wollten Hotelzimmer demolieren, Roxy Music hätte sie lieber umdekoriert“, ist eines dieser Bonmots, mit denen Ferry seiner Gruppe eine besondere Aura verleiht. Er selbst hat keinerlei Probleme damit, exponiert und wohlhabend zu sein. Rockstars, die sich als verkannte Außenseiter stilisieren und so tun, als wären sie irgendwie gegen das Establishment, findet Ferry albern.
Er ist Kind einer bitterarmen Familie aus dem Norden Englands: „Wir hatten kein Auto, kein Telefon. Nichts“, sagt er und erklärt damit auch seine Vorliebe für edles Gewand und stilvolles Auftreten. „Das war eine dickköpfige Reaktion auf die Hippies. Ich mochte den Stil des Rat Packs lieber, die Anzüge von Frank Sinatra. Ich war geprägt von Hollywoodfilmen, die ich als Teenager im Kino neben unserem Haus gesehen hatte. Cary Grant in ,Der unsichtbare Dritte‘, das war mein Vorbild, Anzug, Krawatte, keine lumpige Garderobe.“
Während Roxy Music kreativ regelrecht explodieren, findet Ferry noch Zeit für eine Solo-Karriere und singt Versionen seiner Lieblingslieder ein. Mit seiner Band lotet er musikalisch Grenzen aus, solo frönt er dem einschmeichelnden Klang. Beides ist immens erfolgreich, und Ferry wird zu einer Marke mit seinen schnieken Outfits und dem bewusst inszenierten Hang zum Altmodischen. Das Arbeiterkind tritt formvollendet wie ein Adelsspross auf, was alle ein klein wenig verprellt, Ferry aber selbstredend gefällt.
Nach dem Ende von Roxy Music droht er kurzzeitig zur Karikatur seiner selbst zu werden. Doch das wendet er geschmeidig ab und gilt heute als verdienter Elder Statesman des Rock, der in seiner Freizeit gerne edle Uhren entwirft (für Sammler: die Bryan-Ferry-Uhr gibt es bei der Firma Moser für einen fünfstelligen Betrag) und ansonsten altersweise das Treiben der Welt kommentiert. Über sein Image als wandelnder Kleiderständer kann er selber die schönsten Witze machen („Warum soll ich mir den Tag durch das Tragen eines hässlichen Anzugs verderben?“), und auch sonst pflegt er das Bild des „old fashioned Gentleman“ sorgsam, der immer noch LPs auflegt und sich der Moderne, so gut es eben geht, verweigert („Streaming? Ich weiß gar nicht, wie das geht.“). Für die – gestreamte – Erfolgsserie „Babylon Berlin“ hat er sich trotzdem um die Musik gekümmert und wird ohnehin von jeder Generation neu entdeckt.
An diesem Samstag wird Bryan Ferry, unser aller Lieblingssnob und unerreichter Schmacht-Wüstling mit dem samtweichen Tremolo, unglaublicherweise 75 Jahre alt. Möge er es krachen lassen – natürlich mit Noblesse, wie es sich für einen Dandy geziemt.