Im Paranoia-Simulationscamp

von Redaktion

Schorsch Kameruns „M (3)“ hatte als absurd-witzige „Konzertinstallation“ im Marstall Premiere

Ein bisschen darf man sich hier wie Big Brother fühlen: Auf der Bühne sind Bildschirme angebracht, auf denen der Zuschauer, während er bequem im Warmen sitzt, live sieht, was im Foyer, im Gang, im Backstagebereich oder draußen vor der Tür des Theaters auf dem zugigen Münchner Marstallplatz passiert. Und das ist eine ganze Menge, auch wenn das, was passiert, genauso sinnfrei scheint wie die bunten Podeste auf der Bühne. Da „überwacht“ man via Video also Schauspieler und Statisten, die eine Art Denkmal auf dem Platz enthüllen, später stehen sie mit Fackeln herum, tasten sich an der Wand entlang, singen, reden, laufen durch die Gegend, und über Kopfhörer kriegt man das alles direkt ins Ohr serviert, zusammen mit der Musik, die Schorsch Kamerun innen auf der Bühne produziert.

Dieser Allround-Performer, der früher oft an den Kammerspielen tätig war, hat jetzt am Staatsschauspiel (Marstall) als „Konzertinstallation“ den dritten „M“-Teil eingerichtet mit dem etwas umständlichen Titel „M (3) – Eine Stadt sucht einen Mörder (hässliche Furcht oder schönste Gegenwehr?)“. „M“ spielt dabei an auf Fritz Langs Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, mit dem der Abend nur insofern zu tun hat, als es auch bei Kamerun um eine Atmosphäre aus Angst, Hysterie, Denunziation geht, die heute virulenter scheint denn je – ganz egal, ob es die Angst vor Viren oder Flüchtlingen ist.

Selbst wenn dieses „Paranoia-Simulationscamp“ (Kamerun) schon vor Corona konzipiert worden sein sollte – es nicht auf den derzeitigen Ausnahmezustand zu beziehen, ist unmöglich. Beschwört es doch einen Geist der Widerständigkeit, der Empörung, des Misstrauens gegen Mächtige, der soeben noch selbstverständlich war, aber uns allen derzeit mit dem Herz in die Hose gefallen zu sein scheint. „Wer hat was von welcher Katastrophe?“ So  lautet  die klassische ideologiekritische Frage, die Kamerun selbst in einer Art linkischem Sprechgesang stellt. Wenn Autorität und Gehorsam Angst-bedingt Konjunktur haben, sind „digitaler Totalitarismus“ und flächendeckende Kameraüberwachung viel leichter durchzusetzen – oder eben auch ein Sozialpunktesystem wie in China, bei dem beispielsweise „klimafreundliches Verhalten“ belohnt wird.

Schorsch Kameruns politisches Pamphlet in Operngestalt ist aber zugleich ein wunderbar surreales, synästhetisches Gesamtkunstwerk. Trotz des erheblichen (auch technischen) Aufwands wirkt hier nichts überanstrengt oder verkrampft, alles läuft locker, souverän, organisch ab und ist so absurd-witzig wie renitent. Begeisterter Beifall. ALEXANDER ALTMANN

Weitere Aufführungen

am 28. September sowie am 18. und 19. Oktober; Karten: 089/2185-1940, www.residenztheater.de.

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