„Wir haben eine riesige Sammlung an Gegenwartskunst im Lenbachhaus“, sagt dessen Chef Matthias Mühling stolz. Sie sei so groß, dass immer nur Ausschnitte gezeigt werden könnten. In der Tat ist diese Kunst von 1945 bis heute genauso ein Schwerpunkt der Galerie wie der „Blaue Reiter“. Nun haben der Direktor und Eva Huttenlauch, Sammlungsleiterin Kunst nach 1945, diese Abteilung frisch kuratiert: aus den Beständen des Lenbachhauses und der seit 20 Jahren dort angegliederten KiCo Stiftung. „Die Sonne um Mitternacht schauen“ ist eine umfangreiche Hommage an 20 Künstlerinnen geworden. „Wir können uns auf eine Tradition beziehen, die sonst kein Museum hat“, erklärt Mühling fast noch stolzer. Seine Vorgänger Armin Zweite und Helmut Friedel hätten seit 1972 durchaus auch feministische Positionen gesammelt. Aus den damaligen Anfängerinnen sind zum Teil bedeutende Könnerinnen geworden – noble Namen, von denen das Lenbachhaus nun wiederum profitiert.
Die gezeigten Werke – Gemälde, Zeichnungen, Fotos, Installationen, Videos, Skulpturen – sind in der Zeitspanne von 1958 bis heute entstanden. Humor ist bei sehr vielen Arbeiten Trumpf, auch wenn er öfters tiefschwarz ist. Und wer denkt, dass Feministinnen keinen Witz haben, braucht sich nur mit Valie Exports „Tapp- und Tastkino“ (1968) über Busengrapscher zu amüsieren. Sie wusste längst vor #Metoo, was das ist. Natürlich ist dieser legendäre Performancefilm samt Foto in der Ausstellung vertreten. Noch mehr zu den Großkünstlerinnen zählen allerdings Katharina Sieverding, deren Serie „Die Sonne um Mitternacht schauen“ (1988) der Exposition den Titel gab. Ihr Antlitz, mit Goldstaub bedeckt, kombinierte sie fotografisch-seriell mit Effekten der Sonneneruptionen. Die Künstlerin spielt damit auf Kult und Kosmos an, auf Religion und Naturwissenschaft, Magie und präzise Beobachtung, auf das Menschsein in einer gigantischen, unbegreiflichen Umwelt.
Huttenlauch und Mühling haben die beiden Damen im Kontrast zusammengespannt. Zuvor wird jedoch der unvergleichlichen Malerin Maria Lassnig in einem nur für sie reservierten Raum gehuldigt. Die Gemälde, die wir kennen und verehren – gerade in ihrer lebensweisen Skurrilität – wurden erweitert durch eine Schenkung von Ulrike Ottinger: ein frühes gestisches, gegenstandsloses Werk von Lassnig (1958/61). Schade, dass die Kuratoren Lassnig keinen malerischen Widerpart wie etwa Marcia Hafif oder Inge Dick zugestanden haben.
Das schwächt die Spannung der Ausstellungspräsentation. So hätten zum Beispiel zu Friederike Pezolds fragmentierten Körperteil-Erkundungen (1973-’77) gut Werke von Beate Passow gepasst, weil sie der gesamten Argumentation der Schau eine politisch-historische Dynamik verpasst hätten. Die Verengung auf Anti-Kriegshaltung und Feminismus entspricht nicht der Denkweite der Künstlerinnen, die ja in der Sammlung vorhanden sind. Ähnlich unverständlich ist die Beschränkung von Isa Genzkens Auftritt auf ihre ironischen Ramsch-Plastiken plus einem lustigen Film. Daneben noch eine ihrer mega-eleganten, super-ordentlichen Skulpturen sehen zu dürfen, wäre schon ein Überraschungsspaß fürs Lenbachhaus-Publikum gewesen.
Toll gelungen ist hingegen Cindy Shermans Horror-Kabinett. Für Leute, die momentan auf Geisterbahn-Entzug sind, ein Labsal. Und die anderen schmunzeln, wie schön die Künstlerin all die Gruselklischees durch den Kakao zieht. Noch schöner, aber erschütternd ist, dass man Tejal Shahs Filminstallation „Between the Waves“ wiedererleben darf (Documenta 13, 2012). Sie zeigt als weiblicher Hieronymus Bosch unsere Plastikmüll-Hölle, bevölkert mit seltsamen Wesen: herausragend, befremdlich, faszinierend.
Bis 1. August 2021,
Di.-So. 10-18 Uhr; Telefon 089/233 969 33.