Ja, so müssen Ausstellungen in der Münchner Pinakothek der Moderne aussehen: weg von Schubladen, weg von Rubriken, weg von Festlegungen und dem nervigen So-war’s-doch-immer! Mit dem Projekt „Au rendez-vous des amis“ hat sich die Abteilung der Klassischen Moderne unter Oliver Kase der Gegenwartskunst geöffnet, und zwar der aus der Sammlung Goetz, vertreten von Karsten Löckemann. Und wie es bei echten Freunden ist, es entsteht ein erfrischendes Gespräch, bei dem beide gewinnen. Da das Publikum zum Freundeskreis zählt, kann es ebenfalls bei diesem Rendezvous nur profitieren.
Der Titel selbst geht auf den eines Gemäldes von Max Ernst zurück, der 1922 seine Spezl nicht surreal, sondern ganz realistisch konterfeite. Diese Vorlage modelte 2004 Thomas Zipp um für seine Druck-Collage-Kombination namens „Achtung! Vision: England attacked by the Subreals“. Mit der Hommage startet der Dialog im oberen Flur der PDM, den die Sammlung Moderne Kunst mit einer Wand voll authentischer Surrealisten-Gemälden wundervoll elegant aufnimmt.
Danach haben sich bei den „Brücke“-Künstlern Louise Bourgeois und Huma Bhabha einquartiert. Beide beschäftigt wie die alten Kollegen auch das Magische, das Wilde, das Eruptive im Menschen und eben die Neugier auf außereuropäische Formen. Unnahbare Idole oder zärtliche Gestalten treten mit den farbfrohen und doch melancholischen Gestalten vom Beginn des 20. Jahrhunderts in Kontakt. Furios wird das Farb-Rendezvous beim „Blauen Reiter“. Tal R lässt Gelb in einem Strahlenkreis (mit vielen Bildgeschichten) sonnig und goldglimmrig powern; und Giftgrün in einer Müllskulptur. „We will ride“ von 2008 ist in seiner Volkskunst-Art sowieso wie gemacht für den „Blauen Reiter“.
Ganz automatisch harmonieren Gemälde, Drucke, Collagen, Plastiken und Fotografien, egal aus welchem Material. Das ist so organisch, dass Betrachterinnen und Betrachter sich nicht darüber wundern und gar daran stören können. Nichts muss museal auseinandergerissen werden – das lernt man hier auf höchst angenehme und unterhaltsame Weise. Diese Erkenntnis drängt logischerweise – wieder einmal – zu der Frage, warum die vier PDM-Museen partout nicht zusammenarbeiten?
Löckemann und Kase machen es bei ihrem Konzept vor. Sie suchten die zeitgenössischen Arbeiten so geschickt aus, dass sie neben so mancher berühmten Ikone der Moderne nicht hoffnungslos untergehen. Im Gegenteil: Sie werden gehoben, und die „Alten“ strecken und recken sich, weil frischer Saft in ihnen hochsteigt.
Ähnliche Gefühle hat das Publikum, zumal die museale Aura plötzlich ironisch funkelt. Die harten Kerle – Zeichnungen, Plastiken – von Thomas Schütte dimmen wohltuend das bedeutungsschwangere Pathos vom Max Beckmann. Und Rodney Graham nimmt sogar sich, seine Kollegen und das ganze Bohème-Getue auf den Arm. 2016 hat er sich als „Artist in Artist’s Bar 1950s“ inszeniert: als versonnener Maler am Bistrotisch vor einer Wand voller Gemälde; extra von ihm selbst für dieses Leuchtkastenfoto gemalt. Nicht faul, hat Oliver Kase das aufgegriffen und solch eine Petersburger Hängung mit originalen Fünfzigerjahrebildern (oder doch nicht ganz?) daneben arrangiert.
Natürlich hat ein Rendezvous nicht immer einen glücklichen Ausgang. Bei den ernsten Themen wie Leid und Tod können Künstler wie Sam Taylor-Johnson, Kiki Smith, Pawel Althamer und George Segal nicht Lovis Corinth, Francis Bacon und Käthe Kollwitz und anderen standhalten. Trotz manch Showeffekt werden sie von der Wahrhaftigkeit und dem Können der „Alten“ teils bis zur Peinlichkeit zermalmt.
Bei Pablo Picasso – Aaron Curry, Hans Arp – Mariá Bartuszová, auch Karl Hubbuch –Sarah Lucas funktioniert der Dialog indes bestens. Einer der schönsten Säle ist im Umfeld von Bauhaus und Konstruktivismus gelungen. Schlemmers Tänzerin darf endlich mit Frauen auftreten. Rosemarie Trockel, Andrea Zittel und Katja Strunz „tanzen“ schwebeleicht zwischen Neogeo-Textilbild, -Schürze, -Teppich und Zellstoffmalerei – das sogar vor einem Wandbehang der „entarteten“ Johanna Schütz-Wolff.
Bis 28. März 2021
Di.-So. 10-18 Uhr; Telefon 089/23 80 53 60.