Einsam, zweisam, dreisam

von Redaktion

Das Schlossmuseum Murnau zeigt „Innen, außen, drinnen, draußen …“

VON FREIA OLIV

Rom: Gewimmel in allen Farben ergießt sich über die Spanische Treppe. Paris: Am Montmartre genießen Flaneure und Maler den Blick auf die Stadt. Das Café: Konditor und Kellnerin regieren inmitten des Raumes zwischen den Gästen. Diese Sehnsuchtsorte in doppeltem Sinn zeigt Karl Hubbuch (1891-1979): Es ist der Charme der Sechzigerjahre, der hier mitschwingt, und es ist die gewaltige Lust am turbulenten Reisen. Wann wird es wohl wieder möglich sein, dass wir uns so ins Getümmel stürzen können? Diese Frage schwebt über dem letzten Raum der neuen Ausstellung im Schlossmuseum Murnau, nachdem man Einsamkeit, Idyllen und intime Interieurs durchschritten hat.

Seit März ist unser Blick durch eingeschränkten Aktionsradius und Abstandsregeln ein anderer. Diese Umstände haben das Museum veranlasst, den Fokus auf private und öffentliche Lebensräume zu lenken. Der Titel „Innen, außen, drinnen, draußen …“ soll wie ein Abzählreim klingen, um an das Gefühl anzudocken, das viele durch die aktuellen Einschränkungen haben. Museumsleiterin Sandra Uhrig betont, dass der Blick unter der Prämisse Pandemie aber nur eine Lesart sei. Sie hat Ausstellungskapitel wie Stille und Stadt, Gemeinsam- und Einsamkeit, der kleine Radius sowie das großstädtische Gewühle geschaffen und damit zentrale Themen des gesamten 20. Jahrhunderts aufgegriffen. Dafür wurde ein üppiger Schatz aus den eigenen Beständen und Privatleihgaben gehoben: Für die hochkarätigen Grafiken ist jetzt genau die richtige Zeit. Sie entfalten ihre Faszination leise, um sich umso dauerhafter einzuprägen.

Am Beginn stehen Alexander Kanoldts (1881-1939) markante, menschenleere Bergwelten, die für manche abweisende Kälte, für andere Faszination ausstrahlen. Die dramatische Hell-Dunkel-Magie der Gebirge konnte er hautnah erforschen, nachdem er in den Dreißigerjahren eine Malschule in Garmisch unterhielt. Wie anders ist da Gabriele Münters Blick auf die skandinavischen Weiten und bayerischen Berge. Ihr „Haus am See“ ist geprägt von Ruhe in sanften Aquarellfarben, die etwas Träumerisches haben. Schon allein dieser Kontrast zeigt die Spannweite an Einstellungen zur Natur.

Von der Natur zur Wohnkultur sind die Übergänge nahtlos. Bei Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) spürt man das Interesse des Architekturstudenten. Das „Haus im Topflappenviertel“ (1909) in Blau, Rot, Grün und Lila flammt expressiv auf, die lockere Kolorierung und der schnelle Strich zeugen vom begnadeten Zeichner, der seit seiner Kindheit seine Umwelt skizzierte. Komplett konträr dazu interpretiert David Hockney, Jahrgang 1937, Architektur: Im Pariser „Louvre“ (1974) schraffiert er in Grün und Lila akribisch den symmetrischen Ausblick in den Innenhof, die Klarheit und die gläserne Stille, seine Markenzeichen, sind deutlich spürbar. Sein Studio zeigt er dann in einem Moment der abrupten Verlassenheit – typisch für einen, der die Anonymität der Großstadt zum Lebensthema machte.

Für Hockney war der Rückzug ins Heim keine Lösung, für andere sehr wohl. Josef Hoffmann (1870-1956) zeigt die Möglichkeiten der behaglichen Innenraumgestaltung mit wunderbaren Tapeten hinter dem Lesesessel am Kachelofen. Die Musikinstrumente von Félix Vallotton (1865-1925) und Münters Bild von Wassily Kandinsky am Harmonium führen immer mehr in das Private, in den Raum, der Insel oder Gefängnis sein kann.

Folgerichtig gehören dazu Paar- und Familienbilder. Gleichzeitig rückt, vielleicht als Ausweg bei zu viel Nähe, der heimische Garten ins Blickfeld. Das „Kind mit Lupinen“ (1969) nimmt ihn brachial fröhlich in Besitz bei Otto Dix (1891-1969). Ganz sanft dagegen schafft sich Hubbuchs Modell Marianne um 1930 eine einfühlsam umrissene Ruheoase im Liegestuhl.

Von hier aus ist der Schritt wieder hinaus in die Welt nicht groß. Erma Bossi (1875-1952) schafft mit ihren drei Badenden 1910 quasi eine Ikone des Zeitgeists und der Expression: Die Träume von der großen Freiheit, gepaart mit dem Wunsch, der Natur wieder nahe zu sein, beherrschten den Beginn des 20. Jahrhunderts – und scheinen heute aktueller denn je. August Mackes (1887-1914) Flaneure suchen noch, Kirchner dagegen hat sein Paradies am Strand gefunden: vehement, schnell, treffsicher führt er uns die Impulsivität von Glück vor Augen.

Der Gegenpol zum Ideal eines wilden, naturnahen Lebens war immer das Großstadtleben mit seinen Verlockungen. Félix Vallotton hielt fest, wie sich während der Pariser Weltausstellung die Menschen die Nasen an Schaufenstern platt drückten. Ein „Event“ von 1900, das aktuell wie Zukunftsmusik anmutet.

Bis 4. Juli 2021,

Schlosshof 2-5;

Telefon 08841/476 201.

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