Es scheint eine Ewigkeit her, dass in München zum letzten Mal eine große Oper als Premiere über die Bühne ging. Umso gespannter richten sich die Augen daher auf das Gärtnerplatztheater, wo sich am Donnerstag der Vorhang für Ben Baurs Inszenierung von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ hebt. Eine Produktion, die wie vieles andere lange vor der Pandemie geplant war und nun so vollständig wie nur möglich stattfinden soll.
„Natürlich gab es auch hier Überlegungen, die Sache anders zu gestalten“, verrät der Regisseur in einer Probenpause. „Kleiner und kammerspielartiger. Letzten Endes hat sich das Haus aber entschlossen, es mit all dem zu machen, was diese Oper ausmacht.“ Und dies beinhaltet eben auch die großen Tableaus mit Chor. Die braucht es für Baur gerade als Kontrast zu den intimeren Momenten, in denen man tief in die Seelen Tatjanas, Lenskis und des emotional distanzierten Titelhelden eintaucht.
„Es gibt sehr viele Szenen, in denen sowieso nur ein oder zwei Personen auf der Bühne stehen“, sagt der Regisseur. „Da haben wir, so glaube ich, einen sehr schönen Weg gefunden, ohne dass sich ein Zuschauer jetzt denken würde, das ist Covid-Theater.“ Die größten Einschnitte habe es tatsächlich in der Aktivität und der Bewegungsfreiheit des Chores gegeben. „Gerade in der Geburtstagsszene hatten die Choreografin Lillian Stillwell und ich viel vor, was wir jetzt eben mit anderen Mitteln umsetzen müssen.“
Wie viele seiner Kollegen, hat es aber auch Baur geschafft, aus der Not eine Tugend zu machen und sogar Chancen darin entdeckt, dass der Chor notgedrungen nicht als große Masse reagieren kann, sondern die einzelnen Sängerinnen und Sänger durch die reduzierte Besetzung ebenfalls individuell mehr gefordert sind.
Auch das oft zitierte Argument, dass der „Eugen Onegin“ einst mit Absolventen des Moskauer Konservatoriums uraufgeführt wurde, lässt der Regisseur nur bedingt gelten. Die Tatsache, dass damals ein junges Ensemble auf der Bühne stand, ändert in seinen Augen nichts an den Anforderungen von Tschaikowskys Partitur. „Es gibt sogar einige Stellen, an denen wir vom Kammerspiel weggehen, um das Rauschhafte noch deutlicher darzustellen.“
Die Figuren selbst sind für Baur sehr modern gedacht – auch wenn die Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben, auf den ersten Blick keine modernen Probleme sind: „Tatjana ist keine Teenagerin, die hier am Wochenende auf dem Gärtnerplatz feiert.“ Für Baur ist es wichtig, die Charaktere aus den Konventionen der Entstehungszeit heraus zu denken, um die Konflikte besser zu verstehen. „Ich weiß, dass viele Kollegen gerne das Heutige in der Geschichte suchen wollen und es als bieder ansehen, wenn man eine historische Figur auf die Bühne stellt.“ Baur glaubt aber, dass die Zuschauer da oft viel schlauer seien und die Parallelen auch so erkennen könnten.
„Selbst hier, wo wir nicht versuchen, es krampfhaft heutig zu machen, kämpfe ich in jeder Szene dafür, dass wir eine starke Tatjana sehen.“ Wofür in der Probenarbeit auch einige dramaturgische Leerstellen mitgedacht wurden, die Tschaikowsky bei der Vertonung von Puschkins Vorlage gerade vor dem dramatischen Schlussduett ausgelassen hat. Welche neuen Perspektiven sich daraus erschließen, wird man demnächst erleben.
Premiere
am Donnerstag,
Telefon 089/2185-1960.