Die Spielmacherin

von Redaktion

Barbara Mundel über ihren Start als Intendantin der Münchner Kammerspiele

Barbara Mundel ist umgezogen. Die neue Chefin der Münchner Kammerspiele hat ihr Büro nicht dort, wo in der Vergangenheit ihre Vorgänger saßen. Denn dieser Raum ist (bislang) nicht barrierefrei zu erreichen – doch genau das ist der Intendantin der städtischen Bühne wegen ihres Ensembles wichtig. Heute Abend startet die 61-Jährige in ihre erste Spielzeit als neue Hausherrin an der Maximilianstraße. Wir trafen sie vorab zum Gespräch.

Sie eröffnen Ihre Intendanz mit der Uraufführung von Falk Richters „Touch“. Darin geht es um Nähe, um das Zusammenleben, auch um Berührung. Ist diese Wahl der Pandemie geschuldet?

Die Pläne für eine Produktion mit Falk Richters Texten und einem großen Ensemble von Tänzern und Tänzerinnen sowie Schauspielerinnen und Schauspielern sind vor Corona entstanden. Sie haben aber jetzt sicher eine Zuspitzung erfahren: Der Abend ist eine Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart. Bei den Proben, die ich bisher sehen konnte, war zu spüren, dass Kunst Vorgänge und Gefühle in den Blick nehmen kann, die in der Öffentlichkeit im Moment sonst fast keinen Raum haben.

Haben Sie darüber nachgedacht, mit einem Klassiker zu eröffnen? Mit Shakespeare, Schiller oder Kleist?

Nein. Wir arbeiten mit vier Regisseurinnen und Regisseuren enger zusammen – neben Falk Richter sind das Jan-Christoph Gockel, Nele Jahnke und Pınar Karabulut – und werden in den Eröffnungswochen möglichst unterschiedliche Handschriften zeigen. Starten wollten wir bewusst mit einer Crossover-Arbeit.

Warum?

Zum Beispiel um zu zeigen, dass uns sehr unterschiedliche Geschichten, Stimmen und Ausdrucksformen interessieren, die im Kanon, wenn es den denn gibt, nicht vorkommen. Das heißt nicht, dass es nicht auch Shakespeare geben wird – aber eben nicht jetzt.

Thomas Bernhard und Ernst Toller sind die beiden ältesten Autoren in Ihrem ersten Spielplan. War es eine bewusste Entscheidung, sich derart konsequent aufs 20. Jahrhundert und die Gegenwart zu konzentrieren?

Ja. Wir versuchen, zeitgenössische Autoren ans Haus zu binden. Uns interessiert, welche Rolle Sprache in unserer Gegenwart spielen kann, spielen sollte oder spielen muss. Ich liebe Shakespeare und Kleist. Aber die Kammerspiele haben auch eine lange Tradition der Auseinandersetzung mit Gegenwartsautoren. Daran knüpfen wir an.

Haben Sie Sorge, dass ein Teil des Publikums diesen Weg nicht mitgehen könnte?

Da ich an unsere Produktionen und Stücke glaube, macht mir das im Moment keine Sorgen. Ich denke, dass das Publikum bereits weite Wege mitgegangen ist. Das hat man an den letzten beiden Spielzeiten von Matthias Lilienthal gesehen – das war aber auch vorher schon der Fall. Denken Sie an den Bruch von Dieter Dorn zu Frank Baumbauer: Nach zwei, drei Jahren waren die Menschen wieder da. Die Kammerspiele waren in der Geschichte immer auch für Theaterskandale gut. Es ist großartig, wenn es gelingt, heftigere Ablehnungs- oder Liebesbezeugungen hervorzurufen. Das Schlimmste wäre Gleichgültigkeit im Parkett.

Was macht für Sie gutes Stadttheater aus?

(Denkt nach.) Eine lebendige Beziehung zur Stadt und zum Publikum. Ein kraftvolles, selbstbewusstes Ensemble. Neues Publikum erreichen, Zugänglichkeiten schaffen. Durch Kunst den Nerv einer Stadt treffen.

Was heißt das?

Theater und Stadtgesellschaft sind in einer konstruktiven, vitalen und nach vorne gerichteten Auseinandersetzung. Dazu gehört etwa auch das Nicht-Geplante, alles, was im Umfeld eines Theaters passiert. Wir haben angefangen, uns als Institution anzuschauen. Diesen Prozess wollen wir weitertreiben und fragen, wie wir zusammenarbeiten und miteinander umgehen. Fragen nach Diversität, nach Strukturen und Hierarchien wollen wir in den Blick nehmen – und in den fünf Jahren, die wir jetzt Zeit haben, in Veränderungsprozesse eintreten.

Droht nicht Gefahr eher von außen als von innen? In den Sparrunden, die kommen werden, wird die Kultur nicht ausgenommen werden.

Kunst kann zu der Situation, in der sich unsere Gesellschaft befindet, etwas beitragen. Wir müssen zeigen, dass es wichtig ist, Kulturräume nicht nur zu erhalten, sondern diese nach vorne zu denken und gerade jetzt zu stärken.

Wie kann das aussehen?

Die Kunst hat Möglichkeiten, andere Themen und andere Sinne des Menschen anzusprechen. Fantasie ist eine wichtige Gabe, um sich andere Wirklichkeiten überhaupt vorstellen zu können. Ja, München hat Sparbeschlüsse gefällt. Da wird es – hoffentlich! – nicht nur im Kulturbereich heftige Diskussionen geben. Ich bin gespannt, welche Wege wir bei der Bewältigung der Themen und Fragen gehen werden. Hoffentlich neue Wege…

Ihr Vorgänger Matthias Lilienthal hat so stark wie wohl kein Intendant zuvor die Kammerspiele geöffnet für Schauspielerinnen und Schauspieler aus aller Welt. Sie holen nun Künstlerinnen und Künstler mit körperlicher Beeinträchtigung ans Haus…

Internationalität und Inklusion sind doch kein Widerspruch. Für uns ist das eine konsequente Entwicklung beim Nachdenken über die Frage: Was ist zeitgemäßes Stadttheater? Wir wollen uns auf einen Weg machen, um der Zugänglichkeit der Institution Stadttheater und all diesen Fragen nach Repräsentanz auf der Bühne näher zu kommen. Das gilt nicht nur für Menschen mit Behinderung. Es gibt viele Barrieren: sprachliche, soziale. Wir wollen diese Themen angehen.

Da haben Sie sich viel vorgenommen.

(Lacht.) Ja, stimmt. Ich habe große Freude, Ideen zu entwickeln – und den Theatern wird ja gerne vorgeworfen, dass sie zu viel machen. Wir haben fünf Jahre – lasst uns das als Aufgaben für die gesamte Wegstrecke sehen. Durch Corona sind wir eh schon ein halbes Jahr hinterher: Wir dürfen jetzt nicht in eine noch größere Atemlosigkeit geraten.

Wenn Sie sich nur die erste Spielzeit anschauen: Worauf freuen Sie sich am meisten?

(Lacht.) Darüber habe ich noch überhaupt nicht nachgedacht.

Dann frage ich anders: Wann ist die erste Spielzeit ein Erfolg für Sie?

Für mich wäre es großartig, wenn es gelingt, dass trotz Corona aus unseren Schauspielerinnen und Schauspielern ein richtiges Ensemble wird. Und wenn das Publikum die Wege, die wir beschreiten, mitgeht. Uns kritisch begleitet.

Wir unterhalten uns jetzt seit mehr als einer halben Stunde. Bislang ging es nicht um die Tatsache, dass Sie die erste Frau an der Spitze der Kammerspiele sind. Vermissen Sie eine Frage dazu?

(Lacht hell auf.) Nee. Ich bin froh, dass Sie sie nicht gestellt haben. Bei der Eröffnung der Therese-Giehse-Halle habe ich gesagt, dass es in der Frühzeit der Münchner Kammerspiele eine Vielzahl von eindrucksvollen Künstlerinnen gab. Das waren spannende, interessante Frauenpersönlichkeiten. Es ist bereichernd, den Blick zurück zu weiten: Was damals gedacht, getan und gelebt worden ist – und welche Rollen Frauen dabei gespielt haben! Deshalb gefällt es mir, dass wir unsere zweitgrößte Spielstätte Therese Giehse gewidmet haben. Auch weil sie eine widerständige Persönlichkeit war – von niemandem zu vereinnahmen.

Das war höchste Zeit.

Ja, war es. Aber es hat dennoch 100 Jahre gebraucht.

Das Gespräch führte Michael Schleicher.

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