Dunkelkammerspiel

von Redaktion

Peter Tschaikowskys „Eugen Onegin“ am Gärtnerplatztheater

VON MARKUS THIEL

Zwei Stunden dürften vergangen sein, da gibt es das erste Anfassen. Ohne Hautkontakt, Onegin trägt schließlich Lederhandschuh. Und die ergriffene Hand gehört nicht der Angebeteten, sondern dem Gefährten Lenski. Das böse C-Wort ist auch in der ersten Saisonpremiere am Gärtnerplatz präsent. Doch der pandemische Zwang zum Abstand muss nicht Zwanghaftes bedingen. Das sieht man hier bei „Eugen Onegin“, besonders aber ist es zu hören.

Die neue Fassung, die der russische Komponist Pjotr Alexandrowitsch Klimow beim übermächtigen Peter Tschaikowsky riskierte, bringt einen anderen Blick auf die Partitur. Sicher, in den großen Chorszenen, beim Ball, auch im heftigen emotionalen Aufwallen vermisst man beim reduziert besetzten Orchester Fülle und Gewicht. Aber die Intimität, die Fragilität, die Delikatesse im Kleinen, all das passt zu den „Lyrischen Szenen“, wie der Meister schließlich sein Opus nannte.

In der fast solistischen Selbstverantwortung wachsen die Mitglieder des Gärtnerplatzorchesters weit über sich hinaus. Chefdirigent Anthony Bramall verlangt viel. Das Tempo ist hoch, ebenso die geforderten Energiewerte. Eine Intensität ist zu spüren, die vom Detail ausgeht – und die nie die Sängerinnen und Sänger überfährt. Bramall und sein Ensemble nehmen den neuen Klang-Rahmen nicht als Not, sondern als Chance.

Ähnliches passiert auf der Bühne, obgleich nicht in dieser Schlüssigkeit. Regisseur Ben Baur hält seine Solisten auf Distanz. Dass dies medizinisch geboten ist, fällt bald nicht mehr auf. Situationen der Vereinzelung, der Verklemmung, der vergeblichen, verzweifelten Annäherung sieht man, das ist nur im Sinne des Stücks. Gerade in den Zweierszenen wird dies genau und schlüssig durchgeführt. Und manches ist in seiner Lakonie ungeheuer wirkungsvoll: Onegin erschießt Lenski, ohne hinzuschauen.

Als sein eigener Bühnenbildner belässt Baur mit Uta Meenen (Kostüme) alles im 19. Jahrhundert. Ein geschwungener Saal mit Lamellentüren. Muffige Samtvorhänge verengen die Szenerie, geben nach Zuziehen und Öffnen neue Requisiten und Personen preis: Wer da „Opas Oper“ ruft, hat vielleicht nicht verstanden, dass sich die (adligen) Konventionen und Zwänge nur schwer ins Heute übersetzen lassen. Baur inszeniert vieles – wenn auch kundig – vom Blatt, ein paar Mal staubt es allerdings gewaltig. Um dem zu entgehen, wird Surreales dazugeschaltet. Ein düsteres, manchmal gewolltes und künstelndes Beschwörungstheater, in dem Tatjana ihrem Kleinkind-Ego begegnet, der Chor als choreografierte Untoten-Phalanx hereingeistert und auf dem Fest Spaßmacher Triquet als zaubernder „Batman“-Joker aktiv ist. Für Letzteres möge man wegen szenischer Inflation endlich den Bühnen-Bann verhängen.

Bekanntlich ist am Gärtnerplatz fast alles doppelt besetzt. Die Premiere wird zum Abend von Camille Schnoor. Ihre Tatjana ist von dunkler, klarer, nie verhangener Tonschönheit und Intensität, eine Sopranistin, die genau um ihre lyrische Sozialisation weiß und Emphase kontrolliert. Mathias Hausmann gibt den Teflon-Onegin, ein Selbstgewisser bis -gefälliger, der all das mit klug dosierter Bariton-Passion auch klanglich abbildet. Lucian Krasznec ist als Lenski ganz reizbares, großes Kind. Die Empfindsamkeit der Figur ist kaum zu sehen und zu hören. Das ist manchmal effektvoll gesungen, in seinem vokalen Überschuss allerdings mehr als riskant. Anna-Katharina Tonauers Olga bildet dazu den auch stimmlich geerdeten Gegenpart. Eine verblüffende Entdeckung ist Bassist Sava Vemić. Warum Tatjana bei Fürst Gremlin bleibt und Onegin verschmäht, wird endlich plausibel. Geld allein kann es nicht sein.

Weitere Aufführungen

an diesem Samstag sowie 15., 18., 22. Oktober und 1. November; Telefon 089/2185-1960.

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