Jahrelang war nichts zu sehen oder zu hören von Cliff Richard – im Mai taucht er dann wie aus dem Nichts wieder auf. Mitten im Corona-Lockdown tanzt er in einem selbst gedrehten Video zu seinem Hit „We don’t talk anymore“. Für einen guten Zweck natürlich, er sammelt Geld für ein Kinderhospiz und wirkt immer noch unverschämt jugendlich, auch mit 79 Jahren.
So geht das seit Jahrzehnten: Der ewig frische Cliff Richard erscheint und sorgt für Schlagzeilen. Der Mann trotzt allen Moden und wirkt unverwüstlich, vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb sich die britische Musikpresse mit immenser Ausdauer und derart boshaft an dem Mann abarbeitet. Das ändert freilich nichts daran: Richard ist – abgesehen von Paul McCartney – der erfolgreichste Star der Insel. Alleine an Singles gehen in Großbritannien im Laufe von sechs Jahrzehnten über 20 Millionen Exemplare weg. Da können nur noch die Beatles mithalten, und selbst die haben ein paar tausend Stück weniger abgesetzt.
Als die Beatles 1963 die Briten ins Delirium spielen, ist Cliff Richard, obwohl Altersgenosse, fast schon ein Veteran. 1958 hat er als Teenager mit „Move it“ seinen ersten Nummer-1-Hit, das Lied gilt als erste echte britische Rock-Nummer überhaupt.
Richard, der 1940 mit dem eher unglamourösen Namen Harold Webb in der damaligen britischen Kolonie Indien zur Welt kommt, wird zunächst als rotziger Rock-Rabauke vermarktet, der englische Elvis soll er sein. Auf den Vornamen Cliff kommt das Management, weil er irgendwie rebellisch klingt, und Richard ist eine Hommage an das Idol Little Richard.
Als die erste große Rock-Euphorie um das Jahr 1960 abebbt (erst die Beatles sorgen für eine Wiederbelebung) wird aus dem Rocker Cliff Richard ein Allround-Entertainer, auch hier folgt er dem Vorbild Elvis nach. Die Songs werden kuscheliger, er taucht in Filmen auf und findet zu der Zeit auch zum christlichen Glauben, den er offensiv nach außen trägt. Damit ist er für junge Popfans raus, hat aber trotzdem Erfolg. Bis zum Jahr 2000 landet er in jedem Jahrzehnt mindestens einen Nummer-1-Hit und wird genauso lange wegen seiner missionarischen Ader angefeindet, weshalb sich Richard selbst den „radikalsten Rock-Sänger Großbritanniens“ nennt, was in gewisser Hinsicht nicht verkehrt ist. Als Rockstar offensiv auf „Sex & Drugs“ zu verzichten, ist in dem Geschäft eine Provokation. Richard ersingt sich dennoch eine nibelungentreue Gemeinde, die unbeirrbar jede seine mittlerweile 45 Studioplatten (darunter zwei in deutscher Sprache) in die Hitparaden hievt. 1999 wird „The Millennium Prayer“ zum Weihnachtshit, was wieder für Ärger sorgt, weil Richard das „Vater unser“ vertont. Manche Radiostationen weigern sich sogar, das Lied zu spielen, man wirft ihm Bigotterie vor. Richard nimmt es hin, wie er vieles hinnimmt. Etwa die ständigen Fragen zum Privatleben des ewigen Junggesellen. Das Gerede kann ihm egal sein, er ist eine der großen britischen Poplegenden, obwohl er gar nicht mehr viel Zeit in England verbringt. Den Winter über ist er gerne in der Karibik und ansonsten lebt er in Portugal, wo er Wein anbaut. Preisgekrönt, versteht sich.
Heute wird das Glückskind des Pop 80 Jahre alt und wird den Abend wohl so wie jeden anderen verbringen: mit dem Studium der Bibel.