Tanz des Lebens

von Redaktion

Im Münchner Haus der Kunst berührt Cyrill Lachauers neue Einzelschau

VON KATJA KRAFT

Justin tanzt. Der Bär tanzt. Der Akkordeonspieler tanzt. Doch jeder tanzt für sich allein.

Am eindrücklichsten ist Kunst oft, wenn man etwas von ihrem Entstehungshintergrund kennt. Wir wollen so gern wissen: Was hat sich der Künstler oder die Künstlerin dabei gedacht? Statt selbst hinzuschauen und zu erspüren, was das Werk mit uns macht. Der ehemalige Luftschutzkeller des Hauses der Kunst allein macht schon ganz viel mit einem. Seit 2011 werden hier Arbeiten aus dem Bestand der Sammlung Goetz in Gruppenausstellungen präsentiert. Von heute an ist mit Cyrill Lachauers Installationscollage aus Filmen, Fotos, Briefen, Gedichten, Musik und einem gar nicht so kleinen grünen Kaktus erstmals das Werk eines einzigen Künstlers zu sehen. „I am not Sea, I am not Land“ ist eine Auftragsarbeit für diesen beklemmenden Schutz-Ort, der doch immer an die zerstörerischen Bomben erinnert, vor denen er bewahren sollte.

Hier also nimmt uns der 1979 in Rosenheim geborene Cyrill Lachauer mit auf eine Reise. Beispielsweise in die USA. Nicht in das kraftstrotzende „great“ America, von dem Trump und all die anderen etablierten alten Herren schwadronieren. Lachauer, der seine Rolle als weißer europäischer Künstler und Reisender stets kritisch hinterfragt, schaut auf die Risse, die dieses wie jedes Land durchziehen. Auf die Menschen, Tiere, Orte, deren amerikanischer Traum ausgeträumt scheint. Oder nicht? „Auch wenn sie etwas Gebrochenes an sich haben, tragen sie doch etwas sehr Widerständiges in sich. Sie sind nicht nur die Opfer, als die man sie sieht“, sagt der Künstler. Er sieht sie in ihren jeweiligen Landschaften, die – das ist seine Philosophie – ein Teil von ihnen sind. Wir drinnen, die Landschaft da draußen, solche Konstrukte kennt er nicht. Alles ist eins und miteinander verwoben.

Im ersten Raum des Luftschutzkellers surrt ein Filmprojektor. An die Wand wirft er eine von Lachauer bearbeitete Sequenz aus „Man of Aaran“ (1934). Wasser, das auf Festland peitscht. Immer und immer wieder. Eine Grenze – hier das Meer, dort das Land – ist nicht mehr auszumachen. So wie für den Künstler die Grenzen zwischen Natur und Mensch stets verschwimmen. Könnte die Fotografie der beiden Kinder, die ihre Köpfe in die Sonne recken, die nackten Oberkörper von nasser Erde verschmiert, nicht auch einen Felsen zeigen? „Ich mag diesen Twist. Dass auf den zweiten Blick klar wird, dass nichts eins zu eins ist, wie es erst scheint.“

Justin tanzt noch immer. Vielleicht nicht jetzt, in diesem Moment, doch auf dem Video, das Lachauer im Yosemite-Nationalpark von dem queeren Mann gedreht hat. Und in Lachauers Erinnerung. Für ihn ist der Ort auf ewig mit Justins Tanz verbunden. Hinter ihm der Berg, an dem sich Kletterer mit waghalsigen Manövern übertrumpfen. So ist dieser Film auch ein Ausloten unterschiedlicher Männlichkeitsideale.

Wie wollen wir leben? Was wollen wir hinterlassen? Wie prägen wir unsere Umgebung? Viele Fragen wirft Lachauer auf. Und hofft auf einen guten Ausgang. „Es muss eine Möglichkeit geben, dass es besser wird. Dass klar wird: Man kann fliegen, selbst wenn man am Boden liegt.“ Tanzen hilft.

Bis 11. April 2021

Mo., Mi., So. 10-18 Uhr, Do. 10-22 Uhr, Fr.,Sa. 10-20 Uhr. Telefon 089/21 12 71 13.

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