Ist das Theater doch eine Lehranstalt, in der uns pädagogisch wertvolle Inhalte vermittelt werden? Im Münchner Volkstheater könnte man jetzt auf diesen Gedanken kommen. Dort steht auf der Bühne eine ganze Batterie von Overheadprojektoren, die als wichtigstes Requisit fast ständig im Einsatz sind – und natürlich jeden an die Schulzeit erinnern. Oder sollen uns diese Geräte sagen, dass „alles nur Projektion“ ist (was immer das heißen mag)? Ein bisschen altmodisch „pennälerhaft“ wirken jedenfalls auch die teils kurzhosigen Anzüge des Ensembles (drei Männer, drei Frauen), Klamotten, deren Mausgrau von geradezu schreiender Unauffälligkeit ist. Was genauso für die Inszenierung Felix Hafners gilt, der Saša Stanišićs Roman „Herkunft“ (Deutscher Buchpreis 2019) auf die Bühne brachte.
Der Held der autobiografischen Geschichte muss 1992 mit den Eltern aus dem Jugoslawienkrieg nach Deutschland fliehen. Jahrzehnte später reist er auf der Suche nach seiner Herkunft in das Bergdorf, aus dem seine Großmutter stammt – aber dieses Bemühen, so etwas wie Zugehörigkeit zu erfahren, bleibt eher erfolglos. Dementsprechend unterstreicht das gelungene symbolträchtige Bühnenbild den Eindruck von Entwurzelung, Rastlosigkeit, Ungewissheit: Treppen und Räume sind nur Metallgerüste auf Rädern, die „Wände“ bestehen aus dünnen Gaze-Tüchern. Diese flüchtigen Behausungs-Kulissen werden von den Akteuren ständig herumgerollt, verschoben, weggeräumt und wieder hervorgezerrt.
Insofern gelingt es der Inszenierung, spürbar zu machen, dass es in Zeiten der Globalisierung samt Flucht und Migration fast ein Privileg darstellt, sich über die eigene „Herkunft“ gar keine Gedanken machen zu müssen, weil sie selbstverständlich ist. Wer hingegen wie der Romanheld als Kind eines kroatisch-serbischen „Misch“-Paares im damaligen Jugoslawien geboren wurde und eben Jugoslawe war, muss heute komplizierte Verrenkungen anstellen, um seine Herkunft zu erklären. Der Grund dafür liegt freilich nicht in ihm selbst oder darin, dass Herkunft an sich problematisch wäre. Der Grund liegt schlicht in äußeren politischen Prozessen, die dazu geführt haben, dass es Jugoslawien nicht mehr gibt. Insofern ist Herkunft tatsächlich ein „Konstrukt“, wie es im Text heißt, aber kein psychologisch-subjektives, sondern ein von geostrategischen Machtinteressen bestimmtes.
Jenseits des Bühnenbildes wächst die Inszenierung leider nur selten hinaus über (gekonnte) rhythmische Rezitation und den choreografischen Aktionismus eher sinnfreier gymnastisch-tänzerischer Einlagen, weshalb den Abend doch ein ganz leichter Hautgout von Waldorfschule durchweht. Die Befragungen der deutschen Sprache, die im Buch eine Rolle spielen, werden auf der Bühne eher pflichtgemäß abgehandelt, ohne dass wirklich spürbar würde, wie das neugierige Befremden gegenüber dieser zweiten Sprache, die der Protagonist lernt, ihn zum Schriftsteller macht: Besteht doch das Dichterische immer darin, die vorgefundenen Wörter und Wendungen nicht gedankenlos zu übernehmen, sondern sie aus bewusster Distanz zu prüfen. Gerade für solche epischen Gehalte eine Entsprechung in der theatralen Darstellung zu finden, wäre entscheidend, wenn die heute inflationären Roman-Dramatisierungen mehr sein sollen, als getarnte szenische Lesungen oder, wenn man so will, Prosa-Projektionen. Begeisterter Beifall.
Nächste Vorstellungen
am 25. und 30. Oktober sowie am 3. und 4. November; Telefon 089/523 46 55.
Rhythmisches Rezitieren trifft tänzerische Ansätze