Erschütterndes von den Überlebenden

von Redaktion

Premiere des Rechercheprojekts „9/26 Das Oktoberfestattentat“

VON ALEXANDER ALTMANN

Das sachliche Wort „Attentat“ verhüllt wie ein Vorhang jenes Grauen, dessen Anblick man kaum erträgt. Denn ein Attentat, das sind Innereien, die aus Körpern „herausfließen“, tiefe Löcher in der Stirn eines Kindes, „gehäckselte Waden“. Von dergleichem berichten Überlebende des Oktoberfest-Attentates von 1980. Mehrere Menschen, die damals durch die Bombe eines Rechtsextremisten schwer verletzt wurden, hat die Theatermacherin Christine Umpfenbach erzählen lassen für das „Rechercheprojekt“, das im Werkraum der Kammerspiele unter dem Titel „9/26 Das Oktoberfestattentat“ Premiere hatte.

Schauspieler Stefan Merki sowie Marie Elisa Dziomber, Rasmus Friedrich, Edith Saldanha und Lilly-Marie Vogler, die an der Falckenberg-Schule studieren, sprechen so dezent wie konzentriert die Berichte der Überlebenden. Sätze wie: „Da sah ich, dass meine Beine wie Gummiseile durchhingen.“ Ja, solche Berichte gehören auch auf die Bühne, aber sie sind dort für sich genug und brauchen kein Theater-Geschnörkel um sich herum. Im Gegenteil, sie erweisen sich in ihrer Dringlichkeit als so elementar, dass sie alles Theaterhafte ungewollt albern wirken lassen. Darum scheint es eher deplatziert, wenn zu Beginn mit Disco-Hits und Klamotten das Zeitkolorit von 1980 beschworen wird.

Erschütternd ist an diesem Abend nämlich nicht nur die Erinnerung der Zeitzeugen an den unmittelbaren Horror der Bombenexplosion selbst. Erschütternd und empörend ist auch, was in den Monaten, Jahren und Jahrzehnten danach geschah. Schon lange bekannt: der Skandal gehäufter „Schlampereien“ der Ermittlungsbehörden, die es ob ihres Umfangs schwer machen, nicht an eine Absicht dahinter zu glauben. In der Öffentlichkeit noch nicht so präsent ist die haarsträubende Demütigung und Entrechtung etwa durch das Versorgungsamt, von der die Überlebenden jetzt erzählten: „Ärzte waren 1980 noch Götter“, erinnert sich ein Mann, der damals 13 war – denn von Medizinern und Beamten wurden Verletzte und schwer Traumatisierte als Simulanten oder Schwindler hingestellt (gerade Kinder, die am leichtesten einzuschüchtern sind!), um ihnen jene Entschädigungen und Hilfen auf geradezu kriminelle Weise zu verweigern, die ihnen zugestanden hätten.

Nachdem die Nazi-Bombe ihnen Leiber und Seelen zerrissen hatte, wurden sie jetzt zu Opfern einer Art von strukturellem Faschismus, der, 35 Jahre nach Kriegsende, noch immer in den Denk- und Handlungsweisen von Behörden waltete. Der autoritäre Obrigkeitsgeist einer Exekutive, die den Bürger als Feind ansieht statt als den Arbeitgeber, dem man zu Dienstleistungen verpflichtet ist, lässt sich, aller Entnazifizierung Einzelner zum Trotz, eben nicht per Knopfdruck auf „Zivilgesellschaft“ umstellen – teilweise bis heute nicht. Ohne sie auszusprechen, wirft der Abend damit die Frage auf, inwiefern Rechtsextremismus vielleicht nur die Steigerungsform der bestehenden Verhältnisse ist. Langer, heftiger Beifall.

Nächste Vorstellungen

am 26. Oktober sowie am 8., 14., 15. November; Telefon 089/233 966 00.

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