Es bereitete einiges Gefühlschaos, als die beste Band der Welt, wie sich die Ärzte ja gern betiteln, ihr neues Album „Hell“ ankündigte. Da war zum einen diese kindliche Freude nach acht Jahren Durststrecke auf neue Medikation aus der Punker-Ecke, auf brennenden Balsam für die Seele in diesen schrägen Zeiten. Und andererseits die Sorge vor zu hohen Erwartungen, die Helden der Jugend könnten statt kreislaufstärkender Infusionen nur lahmes Placebo reichen. Wäre ja leider nicht das erste Mal, dass das Berliner Trio, inzwischen alles Männer Mitte 50, eher Belangloses und verkrampft Jugendliches abliefert – siehe das bislang letzte Album „Auch“ von 2012.
Nun also „Hell“ und – zur Hölle – Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzalez sind wieder da! Mitsamt ihrer frechen Leichtigkeit, Ironie und ihrer coolen Mucke. Wie weggeblasen die Sorge, hier versuchen drei gealterte Berufsrebellen noch einmal die Jugend heraufzubeschwören.
Das Intro „E.V.J.M.F.“ macht aber doch ein wenig Angst: eine Minute 43 Sekunden Trap-Music – wolkiges Elektrozeugs voll schleppender Rhythmen und tiefem Bass. „Aha/Yeah, yeah mhh/Jo. jo“, heißt es da. Und: „Unser Streben nach Schönheit und Perfektion, führt uns wieder zurück ans Mikrofon.“ Zum Glück ist das Stück nur kurz.
Danach wird breitbeinig und grinsend abgerechnet: „Morgens Pauken“ ist ein Abgesang auf den längst zum Allgemeingut reduzierten Punk. Will nicht jeder ein kleiner Rebell sein? „Einfach alles ist Punk“, trällern sie gut gelaunt. Natürlich unterlegt mit hartem Schlagzeug und schmissigen Rockriffs. Musikalisch wie inhaltlich ist die Bandbreite groß: „Achtung: Bielefeld“ feiert die Faulheit, obwohl ungeklärt bleibt, was der Song mit der Stadt in NRW zu tun hat. „Das letzte Lied des Sommers“ erinnert stark an die bandeigene Hymne „Westerland“ von 1988. Nur sinniert der Protagonist diesmal über das Meer, während er im stinkenden Stau steckt. Bei „Ich, am Strand“ wird zu Reggae-Zitaten durch ein imaginäres Fotoalbum geblättert – mit überraschendem Ende. Wunderbar grotesk die Schere zwischen Klang und Text bei „Polyester“, das sich bei gefälligem Pop mit Plastikflut und Müll beschäftigt, fast kitschig wird’s bei „Leben vor dem Tod“, das sich mit dem Sinn oder Unsinn des Daseins und der Liebe beschäftigt.
Hinhören sei bei jedem Song empfohlen, denn hinter manch fröhlichem Schunkelklang verbirgt sich bitterböse Gesellschaftskritik. Nun wären die Ärzte nicht die Ärzte, würden sie sich nicht politisch eindeutig positionieren: Begleitet von abgehackten, ja bedrohlichen Gitarren entlarven sie in „Fexxo Cigol“ gepflegt die verqueren Gedankenkonstrukte der Aluhutträger. Bitterböse werden sie am Ende: Im Song „Woodburger“, temporeich in Wort und Ton, strafen sie Wutbürger, Populisten, Nazis und explizit die AfD ab. Das ist nix für zartbesaitete Wortfetischisten. Beinahe, so bekannten Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzalez jüngst in einem Interview, hätten sie sich ja getrennt. Die Luft war raus. Dann entstand die Idee zu diesem 13. Album namens „Hell“. Na, Gott sei Dank!
Die Ärzte:
„Hell“ (Bademeister).