Das Mittelalter lebt. Zumindest für ein Jahr. Vom 12. Dezember 2020 bis zum 12. Dezember 2021 erhält München wieder einen Türmer. Doch während die alten Vertreter ihrer Zunft ganze Tage und Nächte hoch droben über der Stadt verbringen mussten, nach Feuer und Feind Ausschau hielten, verweilen ihre modernen Nachfolger dort nur eine Stunde lang. Eine Stunde auf sich allein gestellt, ohne irgendetwas – und vor allem ohne menschliche Begleitung. „Man kommt allein auf die Welt und man geht allein“, sagt Max Wagner, Geschäftsführer des Gasteigs.
Auf dem Dach, unter dem er noch bis 2021 schaltet und waltet – anschließend ziehen die Institutionen bekanntlich wegen des Umbaus in ein Zwischenquartier – werden die Türmer wachen. In einem Shelter, einem kleinen holzverkleideten Raum aus Stahl, designt vom Architekten Benjamin Tovo. Es gibt eine Heizung, und wer will, kann einen Stuhl mitnehmen, um sich kurz hinzusetzen. Eigentlich aber soll der Türmer stehen, schauen, innehalten und reflektieren.
„Es wird wie ein Rhythmus sein, der sich über München legt“, sagt Joanne Leighton (Foto: WLDN). Die belgisch-australische Choreografin ist Erfinderin des modernen Türmers. Jeden Tag bei Sonnenaufgang steht der erste auf dem Dach. Am Abend, im Winter am Nachmittag, folgt ihm der zweite Türmer; er startet 60 Minuten vor Sonnenuntergang und verlässt seinen Wachtposten, sobald es dunkel ist. Leightons Projekt gibt es schon länger. Es startete 2011 in Belfort und erreicht mit München die erste Stadt mit einer Bevölkerung von über einer Million. Von diesen können zwar nur 730 Interessierte wachen. Dafür soll die Bandbreite der Menschen, die das tun, groß sein.
Melden können sich alle Interessierte ab 16 Jahren unter www.tuermer-muenchen.de. Sie sollten schwindelfrei sein und keine Platzangst haben. Wermutstropfen: Rollstuhlfahrer sind ausgeschlossen, denn die Hütte ist nur über eine Bautreppe zu erreichen. Sie führt aufs Dach der Philharmonie und dort in einen den Körperproportionen angepassten Raum mit einer großen Glasscheibe. Der Unterstand ist wie eine Bühne. Eine Bühne zur Stadt mit allen 1 500 000 Münchnern als Publikum.