„Gesetz sieht keine präventive Schließung vor“

von Redaktion

Kulturszene erwägt Klage gegen Veranstaltungsverbot – Gutachten stützt dieses Vorgehen

VON MARKUS THIEL

Es wäre nicht das erste Mal, dass Einschränkungen aufgrund der Pandemie von den Gerichten kassiert werden. Beim Beherbergungsverbot ist das passiert. Und zu den neuen Regelungen hat bereits der deutsche Hotel- und Gaststättenverband angekündigt, er prüfe juristische Schritte. Ähnliches zeichnet sich nun auf dem Kultursektor ab. Die Empörung über die Zwangsschließung von Theatern, Konzertsälen und Kinos ist groß, wie berichtet erwägen Künstler und Kulturveranstalter eine Klage.

Gestützt wird dieses Vorgehen durch eine Expertise von Rolf Bolwin. Die Stimme des Juristen hat Gewicht, er war ein Vierteljahrhundert lang geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins. Bolwin räumt einer Klage gegen die Kulturbeschränkungen gute Chancen ein. Er argumentiert mit dem Verfassungsrecht und mit dem Infektionsschutzgesetz. Letzteres erlaube es den Behörden nur im Falle einer Erkrankung oder eines konkreten Verdachts, den Betroffenen den Zugang zu einem bestimmten Ort zu verbieten. Eine präventive Schließung, so Bolwin, sei im Gesetz nicht vorgesehen – das habe nicht zuletzt die Rechtsprechung zum Beherbergungsverbot gezeigt.

Verfassungsrechtlich führt Bolwin gegen das Veranstaltungsverbot den Artikel 5 des Grundgesetzes ins Feld. Dieser regelt die Kunstfreiheit, die durch kein niederrangiges Gesetz eingeschränkt werden darf. Bolwin folgert: Da Künstlerinnen und Künstler von einem Berufsverbot betroffen seien, kann dieses nur von „wichtigen verfassungsrechtlichen Werten“ beschnitten werden: „Die Hürden für solche Eingriffe sind also hoch, um nicht zu sagen sehr hoch.“

Aus all seinen juristischen Überlegungen folgert Bolwin: Corona-Maßnahmen, die sich gegen einen Kunstbetrieb richten, seien viel stärker auf die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. „In der Quintessenz heißt das, dass die Einschränkungen für ein Theater oder einen Konzertsaal eher schwieriger sind als ein Beherbergungsverbot, zumal auch von diesen Kulturinstitutionen bisher kein besonderes Infektionsrisiko für das Publikum ausgeht.“

Der Bundesverband Schauspiel hat die Schließung von Theatern als unsinnig kritisiert. „Gerade kleinere und nicht öffentlich geförderte Häuser werden diesen erneuten und vollkommen unnötigen Schlag vor den Bug nicht überleben“, heißt es in einem offenen Brief, den der Schauspielverband online veröffentlichte. Alle bisherigen Schutzmaßnahmen hätten sie mitgetragen. „Sie waren schmerzhaft und haben viele von uns in existenzielle Krisen gestürzt“, schreibt der Verband. Aber sie hätten sie als notwendig erkannt, um die exponentielle Ausbreitung des Virus zu stoppen. In Theatern würden heute deutlich weniger Plätze besetzt als früher. Es gebe nur wenige öffentliche Orte, die so sicher seien, schrieb der Verband. Theater nun zu schließen, obwohl sie „kein Risiko darstellen“, sei weder sinn- noch maßvoll. „Ein kultureller Kahlschlag ohne Beispiel wird die Folge sein.“

Mit ihren massiven Einschnitten in den Alltag der Gesellschaft betreibt die Politik nach Ansicht des Geschäftsführenden Intendanten der Württembergischen Staatstheater auch Symbolpolitik. Dafür werde man nun in Mithaftung genommen, sagte Marc-Oliver Hendriks. „Das schmerzt.“ Dabei gebe es bislang keinen Beleg dafür, dass sich Menschen in Theatern, Opern oder beim Ballett infiziert hätten. „Es wirkt auf mich vielmehr ein bisschen so, als nehme man die attraktiven Dinge aus den Schaufenstern, nur damit die Leute zu Hause bleiben.“  mit dpa

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