„Man lernt viel, wenn man leidet“, schreibt Oliver Stone einmal beiläufig in diesem Buch. Und dieser lakonische Satz ist letztlich der rote Faden seiner Autobiografie „Chasing the Light“. Stone ist seit über 40 Jahren im Geschäft, er hat Regie-Oscars für „Platoon“ (1986) und „Geboren am 4. Juli“ (1990) gewonnen, Kinohits wie „Wall Street“ (1987) oder „Natural Born Killers“ (1994) abgeliefert und mit kontroversen Filmen wie „JFK“ (1991) oder „Comandante“ (2003) die öffentliche Debatte auf Trab gehalten. Aber was ihn offenkundig auch als über 70-Jährigen umtreibt, das ist der Schmerz, die Unsicherheit, die Angst vor dem Versagen.
Das klingt wie Koketterie, aber so ausdauernd und detailversessen Stone von seinen vielen persönlichen und beruflichen Niederlagen erzählt, muss man annehmen, dass das Scheitern sein wahres Leitmotiv ist. Es bestätigt sein Außenseitertum, seine Selbstzweifel, vor allem aber seinen Ehrgeiz, nicht „amerikanisch“ zu sein im Sinne einer Person, die nach Erfolg, Geld und Ruhm strebt – obwohl er zugegebenermaßen sehr oft darüber schreibt, wie viel er verdient hat pro Film und wie viel Geld er ausgegeben hat; da war oft eine offenkundige Diskrepanz.
Über ein Viertel seiner Memoiren widmet Stone seiner Kindheit und Jugend, eine Geschichte von Rückzug und Verlorenheit, wenn man ihm glaubt. Seine Eltern prägen und verfolgen ihn ein Leben lang, auch wenn er im Grunde sehr früh alles tut, um ihnen zu entkommen oder wenigstens nicht so zu werden wie sie. Seiner Mutter, einer flamboyanten Französin, verdankt er seinen Hang zum Hallodritum vermutet Stone; sein Vater, ein stockkonservativer Finanzberater, vermacht ihm das Arbeitsethos. Aber er weckt auch Stones Widerstandsgeist, der die Welt, in der sich alles um Status und Geld dreht, fundamental ablehnt.
Als die Eltern sich scheiden lassen, driftet Stone ab in seine eigene Traumwelt und beginnt zu schreiben. Eher unbeabsichtigt, aber immer zwanghafter. Er verlässt die Eliteuniversität Yale ohne Abschluss und vagabundiert durch Südostasien. Dort tobt gerade der Vietnamkrieg, und Stone meldet sich freiwillig, wird zweimal schwer verwundet und geht doch zurück an die Front. Die rohe Gewalt stößt ihn ab und fasziniert ihn zugleich. Oliver Stone ist ein verdammt guter Autor, er beschreibt seine Zeit als Soldat mitreißend, plastisch – und er formt die Realität nach seinem Belieben. Seine Erinnerungen sind gefärbt, er interpretiert aus der Warte der Gegenwart und tut, als wären es seine Gedanken als junger Mann. Eine lässliche Sünde, sie ist natürlich auch Stones Talent. Er sieht alles egomanisch aus seinem Blickwinkel, seine Agenda zählt, und wer das nicht begreift, ist erst mal ein Volltrottel.
Angeblich schreibt er sich nur an der Filmhochschule ein, weil er hört, dass man da ohne Aufwand ein Diplom kriegt, ein bürgerlicher Impuls, um es dem Vater recht zu machen. Stones Zorn über die Ungerechtigkeit, den Krieg, die Lügen, treibt ihn an, und der blutjunge Martin Scorsese erkennt als dessen Professor das Potenzial dieser Wut. Sobald Stone beginnt, die ersten Erfolge und den langsamen Aufstieg in Hollywood zu schildern, verzettelt er sich in kleinteiligen Beschreibungen, betreibt etwas eitel das Auflisten von Berühmtheiten, die er kennenlernt und ätzt ein bisschen gegen Weggefährten. Was den Künstler und das Buch rettet: Mit sich selber geht er ebenfalls schonungslos um. „Regisseure haben oft das Bedürfnis, irgendetwas zu erklären, obwohl sie eigentlich wenig zu sagen haben“, schreibt er und breitet fast schon masochistisch seine persönlichen Schwächen, seinen Hochmut, seine Kokain- sucht, seinen Egoismus aus und spart peinliche Details aus dem Intimleben nicht aus. Mittendrin ist Schluss. Das Buch hört mit dem Oscar für den ersten Triumph, „Platoon“, auf. An sich stimmig. Es ist im Grunde der Entwicklungsroman eines geborenen Verlierers, der doch gewinnt. Um erneut Niederlagen einzufahren. „Es gibt keine Vergebung oder Erlösung, nur das Ende“, formuliert Stone.
Oliver Stone:
„Chasing the Light – Die offizielle Autobiografie“. Aus dem Englischen von Thomas Gilbert, Finanzbuch Verlag, München, 416 Seiten; 24,99 Euro.