Im Herzen ein Spießer

von Redaktion

Campino, Sänger der Toten Hosen, erzählt in „Hope Street“ aus seinem Leben

Er ist einer der Großen in der Musikszene: Campino, bürgerlich: Andreas Frege, Sänger der Toten Hosen. Doch den 58-Jährigen prägen auch andere Leidenschaften, England und der FC Liverpool etwa. Unter dem Titel „Hope Street“ hat der Düsseldorfer darüber jetzt ein Buch geschrieben. Wir sprachen mit dem Künstler über sein Werk, die Liebe, Teesorten – und sein Image als Rockstar.

In „Hope Street“ erzählen Sie aus Ihrem Leben. Wenn Sie die Wahl hätten: Welches Kapitel würden Sie gerne noch mal erleben?

Eine der verrücktesten Nächte war tatsächlich der Sieg von Liverpool in der Champions League 2005 gegen den AC Mailand. Aber wie könnte ich diesen Moment einem völlig normalen Familiennachmittag in meiner Kindheit, zu Hause in Mettmann mit meinen Geschwistern, vorziehen? Solche Augenblicke würden immer Priorität haben. Ich weiß zwar nicht, ob ich die unbedingt noch mal erleben müsste. Aber diese Momente gehören definitiv zu den schönsten meines Lebens.

Wie kam es zu dem Buch?

Dass ich irgendwann ein Buch schreiben würde, war mir seit vielen Jahren klar. Schon als Bub habe ich Geschichten verfasst und sie für 20 Pfennig an meine Mutter verkauft. (Lacht.) Wenn ich mich selbst beobachte, stelle ich fest, dass es bei mir im Leben immer wieder um Kommunikation geht. Ob Bücher schreiben, Filme drehen oder Theater spielen: Das findet alles im selben Haus statt. Ich habe sozusagen nur mal das Stockwerk gewechselt. Es ist zwar ein immenser Unterschied, einen Liedtext oder ein Buch zu schreiben, aber ich finde, es ist trotzdem dieselbe Verwandtschaft.

Was ist schwieriger?

Für mich ist die Hemmschwelle bei einem Lied größer. Ich habe inzwischen über 500 Songs geschrieben. Deshalb fällt es mir hier schwer, mich auszutricksen und selbst zu überraschen. Diesen Ballast hatte ich beim Schreiben meines Buches nicht. Da habe ich eine völlig neue Spielwiese betreten, konnte mich gründlichst austoben: Einerseits habe ich von meiner Liverpool-Leidenschaft erzählt, andererseits mich mit meiner Familienhistorie beschäftigt. Deshalb ist mir diese Sache relativ leichtgefallen. In der intensiven Phase des Schreibens gab es ungefähr zwei Tage, in denen ich das Buch-Projekt verflucht habe. Zum Vergleich: Wenn ich ein Album mit den Toten Hosen einspiele, gibt es vielleicht zwei Tage, an denen ich glücklich bin: den ersten Studiotag und den letzten. (Lacht.) Das ist einfach ein anderer Druck, weil man anders daran gemessen wird.

Unter Ihren Songs war bisher kein Liebeslied mit Happy End. Im Buch erklären Sie das damit, dass Sie Liebe früher missverstanden und mit Euphorie verwechselt haben. Wie definieren Sie Liebe heute?

Heute bin ich einen Schritt weiter. Wir lernen letztendlich nie aus. Deshalb glaube ich, dass wir bis zum letzten Atemzug auch lernen, was die Liebe ist. Inzwischen verstehe ich, dass es dabei nicht nur um eine Beziehung geht, sondern um sehr viel mehr. Abgesehen von Zweierkonstellationen ist Liebe auch eine Frage von Freundschaft, ein gemeinsames Durchschreiten von Zeiten. Gegenseitiges Vertrauen, sich nicht verstellen oder ändern zu müssen. In einer Beziehung braucht man den anderen auch nicht immer zu verstehen. Das ist, glaube ich, der Kernpunkt. Zu sagen: „Ich versteh’ dich zwar nicht, aber ich lieb’ dich trotzdem.“

Ihr Buch endet mit den Worten „Nur noch eine Saison – versprochen.“ Bedeutet das, Ihre Liebe zu Liverpool wird erlöschen?

Auf gar keinen Fall. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Leidenschaft irgendwann in mir abstirbt. Ich bleibe Liverpool-Fan bis zum letzten Tag. Dieses Versprechen „Nur noch eine Saison“ ist deshalb eher eine Anspielung auf das, was Süchtige sagen: Nur noch diesen einen Schuss, dann ist Schluss. Nur noch diesen Abend trinken, dann hör’ ich auf. Dass man seine Versprechungen selbst nicht ernst nimmt. Diesen Satz habe ich deshalb eher sarkastisch gemeint.

Im November wollten Sie in den Münchner Kammerspielen lesen – daraus wird nun vorerst nichts. Macht die Politik im Kampf gegen Corona in Bezug auf die Kultur alles richtig?

Da müssen unbedingt neue Ideen her. Das Problem vieler Selbstständiger ist, dass sie durch jedes Raster fallen, gerade was die Überbrückungsgelder angeht. Das System ist nicht ausgerichtet auf solche Fälle – im Grunde eine sehr betrübliche Angelegenheit. Gerade in normalen Zeiten sind es doch die selbstständigen Kulturtreibenden, die sich problemlos über Wasser halten, die nie einen Support bekommen von der Regierung. Das sind alles Einzelkämpfer, die uns inspirieren. Wenn diese Leute erst mal aufgegeben haben oder in andere Branchen abgewandert sind, wird die Kulturszene nur sehr schwer wieder auf die Beine kommen.

Sie sind verheiratet, haben ein Buch geschrieben, trinken am liebsten Teesorten mit wohlklingenden Namen. Alles Dinge, die Sie früher vermutlich total spießig gefunden hätten. Sehen Sie sich heute trotzdem noch als Rockstar?

Ich habe mich noch nie als Rockstar gesehen, ich weiß ja, wer ich bin. (Lacht.) Im Leben ist vieles eine Sache der Betrachtung. Dass ich mich etwa über Teesorten amüsiere, mich gleichzeitig darin verliebe und zu Hause 100 Sorten stehen habe – das ist typisch für mich. Genauso war es, als ich mich 1982 mit dem Lied „Opel-Gang“ über Opel-Fahrer lustig gemacht habe. Gleichzeitig habe ich mich wahnsinnig dafür interessiert und bin begeisterter Opel-Fan geworden. Das heißt, der Song oder die Idee dazu hatten mich überholt. Ähnlich ist es mit dem Heiraten. Es ist sehr einfach zu sagen: Wer heiratet, ist ein Spießer. Allein Elizabeth Taylor hat achtmal den Bund fürs Leben geschlossen. Da bin ich schon eher der Spießer, wenn ich sage: Ich heirate nur einmal im Leben. (Lacht.)

Das Gespräch führte Franziska Konrad.

Campino:

„Hope Street“. Piper Verlag, München, 355 Seiten; 22 Euro.

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