Till Brönner hat ein neues Album mit dem Titel „On Vacation“ veröffentlicht (siehe Kurzkritik links). In den Medien ist er gerade aber vor allem wegen seines leidenschaftlichen Statements zur Lage der Kulturbranche. Wir sprachen mit dem 49-Jährigen über fehlende Unterstützung, verräterische Begriffe und Urlaub für die Seele.
Ihre auf Ihrem Facebook-Account veröffentlichte Wutrede zur Corona-Pandemie hat ein großes Echo hervorgerufen. Sie wurden in der Folge von zahlreichen Medien um Stellungnahme gebeten. Hat Sie das enorme Interesse überrascht?
Ja. Ich bin zwar in den Sozialen Netzwerken unterwegs, aber diese große Aufmerksamkeit ist bisher beispiellos. Mein Smartphone hat sich in den vergangenen Tagen in einen Ventilator verwandelt. Das ist für mich der Beweis, dass es wirklich brennt.
Wie stehen Sie zum „Lockdown light“?
Er war wegen der hohen Infektionszahlen abzusehen. Für die Kulturschaffenden ist er besonders hart, weil es in den Monaten zuvor wegen der strikten Hygienekonzepte keinen einzigen nachweisbaren Corona-Ausbruch bei einer kulturellen Veranstaltung gegeben hatte. Und weil die gesamte Szene seit Ende Februar fast ohne finanzielle Unterstützung dasteht. Nun werden den Künstlern Häppchen hingeworfen mit der Ankündigung, im November einen finanziellen Ausgleich zu gewähren. Was schon an Kahlschlag passiert ist, bleibt unerwähnt.
Die Bundesregierung argumentiert, weil die Infektionsketten nicht mehr nachverfolgt werden können, müsse man die Anlässe, bei denen Menschen zusammenkommen, verhindern. Leuchten Ihnen diese Maßnahmen ein?
Ich bin kein Virologe, deshalb kann ich die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht beurteilen. Ich vermute aber, dass es auch andere Gründe gab, warum das gesamte Kulturleben geschlossen wird. Man musste Einschränkungen beschließen – und hat sich mit der Kulturbranche den Bereich herausgegriffen, der traditionsgemäß am leisesten ist, weil es keine Gewerkschaften gibt, die sofort Alarm schlagen. Kultur wird seitens der Regierung der „Freizeitwirtschaft“ zugerechnet. Eine verräterische Begrifflichkeit.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Mir persönlich geht es gut. Ich spreche für die vielen Kolleginnen und Kollegen, denen das Wasser bis zum Hals steht. Wenn die Politik eine ganze Berufsgruppe dazu zwingt, auf ihre Arbeit zum Schutz der Allgemeinheit zu verzichten, erwarte ich einen angemessenen finanziellen Ausgleich dafür. Man lässt diesen riesigen Wirtschaftszweig doch auch ordentlich Steuern zahlen.
Ein weiterer Kritikpunkt von Ihnen lautet, dass die Kulturszene zu leise sei. Das Bündnis „Alarmstufe Rot“ brachte nun deutschlandweit Musikerinnen und Musiker schweigend auf die Bühne und auf öffentliche Plätze. Ist dieser leise Protest für Sie laut genug?
Der Protest ist eine weitere Ausdrucksform dessen, was allerorten zu beklagen ist. Bei dieser gelungenen künstlerischen Aktion geht es um die Frage, wie man mit Musik, die man überall wie Wasser aus dem Wasserhahn genießen kann, in Zukunft umgeht. Musiker haben das Problem, dass ihre Kunst als etwas stets Zugängliches empfunden wird. Wenn Lokführer streiken, dann können sie ein ganzes Land lahmlegen. Wenn Musiker keine Musik mehr machen, dann läuft das Leben vermeintlich normal weiter.
Der Live-Bereich ist für die Musikerinnen und Musiker in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden, weil sie mit CD-Verkäufen, Downloads und Streamingdiensten fast kein Geld mehr verdienen können.
Sie sagen es. Live-Konzerte sind für viele Musikerinnen und Musiker die einzige nennenswerte Einnahmequelle. Und wenn diese, staatlich verordnet, nicht mehr stattfinden können, geht es für viele wirklich um die Existenz.
Die Gelder, die jetzt der Staat ausschüttet, müssen nach der Pandemie erwirtschaftet und eingespart werden. Das wird gerade im Kulturbereich zu einem Verteilungskampf führen. Wie sehen Sie die langfristige Entwicklung der Kulturbranche?
Mit dem Begriff „freiwillige Leistung“ habe ich genauso meine Schwierigkeiten wie mit der Einordnung „systemrelevant“. Es ist erstaunlich, dass eine Kulturnation wie Deutschland unseren Bereich offensichtlich als systemirrelevant empfindet. Wenn man die Kulturbranche finanziell unterstützt, ist das eine Investition in die Zukunft. Das Bedürfnis nach kulturellen Erlebnissen wird nach der Pandemie hoch sein. Viel Geld wird in Form von Steuern an den Staat zurückfließen. Vorausgesetzt, es gibt sie dann noch – die freie Kultur- und Veranstaltungsbranche.
Herbert Grönemeyer hat gefordert, dass sich die Gesellschaft auch selbst um ihre Künstler kümmern müsste – die Wohlhabenden sollten finanzielle Unterstützung leisten. Fordern auch Sie mehr privates Engagement?
In Deutschland ist das private Engagement im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA eher gering. Das liegt auch daran, dass dort nicht annähernd so viele öffentliche Gelder für Kultur vorhanden sind wie bei uns. Man könnte aber sicherlich in Deutschland durch steuerliche Erleichterungen Anreize geben, Kultur zu fördern, und so einen wichtigen Dienst an der Gesellschaft leisten.
Ihr Album „On Vacation“ – im Urlaub – wurde im September 2019 in Südfrankreich aufgenommen und klingt sehr entspannt. Auf dem Foto im Booklet sitzen Sie im Liegestuhl am Pool. Hört sich die Platte für Sie heute wie aus einer völlig anderen Zeit an?
Wir haben uns vor der Veröffentlichung schon überlegt, ob wir mit dieser Message im Augenblick ein wenig zynisch wirken. Sind dann aber ganz bewusst bei diesem Titel geblieben, weil Urlaub und Urlaub für die Seele im Augenblick immer unwahrscheinlicher werden. Täglich sind wir mit so vielen Horrormeldungen konfrontiert. Da kann so ein Album wohltuend sein.
Das Gespräch führte Georg Rudiger.