Engelein sorgten für Karriereschub

von Redaktion

Ein Buch erzählt vom bayerischen Hofmaler Joseph Stieler, der hinter seinen berühmten Bildern zurücktritt

VON SIMONE DATTENBERGER

Kinder waren sein Glück – sie haben ihn zum Hofmaler in München gemacht. Im Festjahr zu Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag ist es fast unverschämt, das zu behaupten; stammt doch das berühmteste, längst ikonisch gewordene Porträt des Komponisten von Joseph Stieler (1781-1858). Außerdem ein umschwärmtes Goethe-Bildnis, für das sich der Dichterfürst in einem Brief an den Maler wärmstens bedankte. Grantlhuber Beethoven soll ebenfalls zufrieden gewesen sein. Auch Adelige inklusive gekrönte Häupter, Geldige und Intellektuelle wollten von dem gebürtigen Mainzer verewigt werden. Aber ausgerechnet Kinder machten den Weg frei zum Herzen Max’ I. Joseph, König von Bayern – von Napoleons Gnaden.

Die Journalistin, Autorin und Filmemacherin Sonja Still breitet in ihrem Buch „Joseph Stieler – der königlich-bayerische Hofmaler“ unterhaltsam viele derartige Informationen und Anekdoten zusammen mit handfesten historischen Fakten (Krieg, Krieg und nochmals Krieg) vor Leserinnen und Lesern aus. Sie will keine Kunstanalyse betreiben, sondern einen schöpferischen Menschen würdigen. Einen, dessen Bekanntheit weit hinter der seiner Werke zurückgefallen ist. Denn selbst wem Beethoven und Konsorten samt feinen Herrschaften egal sind, der wird spätestens bei dem Wort „Schönheitengalerie“ hellwach. 36 bezaubernde Frauen, von Heinrich Heine neidisch als Ludwigs „Harem“ angegiftet, lösen automatisch Neugier aus – und Hintergedanken. Ludwig profitiert imagetechnisch bis heute davon, der arme Stieler nicht.

Deswegen ist das leicht lesbare Buch eine Freude. Still steigt zum Glück nicht bieder mit der Vita-Chronologie ein, sondern mit dem bunten Leben der Porträts. Sie weist auf Details hin wie die von Stieler favorisierten Bordüren, die dekorativ umgeworfenen „Wiener Tücher“ – guter Mode-Tipp – oder die verbotene „altdeutsche Tracht“, mit der Kronprinz Ludwig 1817 seine anti-französische Haltung demonstrierte. Romantik ist duchaus politisch. Die Verfasserin erzählt außerdem knapp vom Schicksal der Dargestellten. Da gibt es etwa die „illegitime“ Tochter einer Fürstin und eines gräflichen Hof-Kämmerers. Durch Adoption wird das Mädchen Amalie eine „legitime“ von Lerchenfeld-Köfering. Und von der Gesellschaft bereits mit 14 gefeiert. Ein Russe entbrennt heiß, ein Duell droht, Vernunft plus Geld-Ehe siegen. Am Zarenhof steigt die junge Gattin des Geschäftsträgers bei der russischen Gesandtschaft auf; als Witwe geht sie nach Bayern zurück, heiratet erneut und zieht ins Tegernseer Tal. Wahrlich Stoff für einen Ganghofer-Roman. Und: Amalie ist in der Schönheitengalerie zu finden.

Klischees über Romantik, Biedermeier und Frauen bekommen in diesem Buch kein Futter. Joseph Stieler sah trotz des Schimmers von Anmut und Perlen, der Weichheit von Wangen und Samt, trotz der eleganten Halslinie und der edlen Säule im Hintergrund vor allem den Menschen – ob das eine Frau, ein Kind oder ein Genie ist. Im Antlitz, sei es noch so kostspielig umrahmt, zeigt er das Individuum. Die Kleinen sind bei ihm nicht ausstaffierte Repräsentanten einer Dynastie, die per Gemälde belegt, dass sie weiterleben wird. Mit dieser Hinwendung zum Kind als Persönlichkeit zieht der Künstler viele gebildete Menschen seiner Zeit an. So Auguste Amalie, Tochter von Max I. Joseph, und Eugène de Beauharnais (später Herzog von Lerchenfeld), ihren Mann, Napoleons Stiefsohn, Vizekönig von Italien.

Auf seinen Reisen – einerseits, um sich als Maler weiterzubilden, andererseits, um neue Kunden zu akquirieren – kam Stieler unter anderem 1809 nach Mailand und zu dem Paar. Unter seinen Vorzeige-Bildern war eines der kleinen Ludovika Brentano. Der Franzose und die Bayerin waren entzückt und ließen ihre (noch) fünf Bobberl konterfeien. Der Künstler gruppierte sie nicht steifleinen als Adelssprösslinge, sondern in einem Wolkenbett: als Engelein. Der Akzent liegt auf den Gesichtern, nichts lenkt ab; nur kleine Flügel setzen Farbtupfer. Josephine, Eugenie, August, Amelie und Theodolinde wurden, auf diese Weise versammelt, zu den Großeltern nach München geschickt. Oma und Opa waren hingerissen. (Das Bild ist verschollen; Kopien existieren.)

Mit diesem Entrée stieg Joseph Stieler unaufhaltsam als beliebtester Porträtist des bayerischen Hofes und der feinen Münchner Gesellschaft auf. Er war jedoch klug genug, um sich stetig fortzubilden und seine Position zu festigen, etwa indem er Beethoven in Wien malte. Sonja Still: „Beethoven, berühmt wie ein Popstar, Stieler der Maler der Schickeria – im Frühjahr 1820 treffen sie aufeinander.“ Trotz des Auftraggebers Franz Brentano (Stiefbruder von Bettine und Clemens) behielt Stieler das Gemälde. Wieso es erst 1981 ins Bonner Beethoven-Haus gelangte, schildert die Autorin in einem eigenen Kapitel. Jedenfalls wurde der Sohn eines Hofgraveurs und Münzmeisters im Dezember vor 200 Jahren zum bayerischen Hofmaler ernannt. Geld (1000 Gulden jährlich) floss erst 1822 nach dem Tod des alten Hofmalers. Sogar Vergleichszahlen gibt Still an; etwa: Ein Oberleutnant bekam 437 Gulden, und vier Kreuzer kostete ein Pfund Mischbrot. Der Künstler schlug trotz großer Reisetätigkeit Wurzeln in München (Haus in der Barer Straße) und Bayern (Sommerhaus in Tegernsee). Die Wittelsbacher vertrauten ihm nicht nur staatstragende Aufträge an, sondern auch sensible wie Trostbilder. So schuf er für Königin Karoline Bilder von Maximiliane Josepha Caroline, die 1821 elfjährig gestorben war, und verewigte 1825 den gerade verschiedenen Max I. Joseph. Die Königinwitwe zog sich ins Schloss Tegernsee (ehemals das Kloster) zurück; dort wurde mit Stielers Arbeiten ein Totenkabinett eingerichtet.

Ebenfalls sensibel, aber heiterer war ein anderer Auftrag: eine Schönheitengalerie. Ludwig hatte sie schon als Kronprinz im Sinn, aber erst 1827 wurden die ersten zehn Gemälde dem Publikum vorgestellt. Gerade das Öffentlich-Machen erregte die Gemüter. Die Tochter, Braut oder Ehefrau vor aller Augen auszustellen und das im Zusammenhang mit dem König, befeuerte die Fantasie und die Entrüstung. Ludwig ließ alles kommentarlos an sich abperlen. Bis heute fasziniert, dass er Frauen aus allen Ständen, Himmelsrichtungen und Religionen verewigen wollte. Schönheit war mehr als rosa Lippen und kunstvoll gelegte Locken. Dass wir das spüren, dafür sorgte Joseph Stieler bis 1850. 1858 starb der zweifache Ehemann, vielfache Vater und pensionierte Hofmaler, der von Kindheit an mit einem Augenleiden kämpfte, in München.

Sonja Still:

„Joseph Stieler – Der königlich-bayerische Hofmaler“. Allitera Verlag, München, 188 Seiten; 35 Euro.

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