Plötzlich steht da was. Irgendwo auf der Straße, unter einem Fenster, auf dem Gehsteig. Manchmal liegt es auch mitten auf dem Asphalt oder spannt sich über einen Gully, gerne mit Absperrband umgeben. Nicht jedem fällt es sofort auf. Doch wer innehält und es näher betrachtet, wird merken: Es ergibt keinen unmittelbaren Sinn.
Dieses „Es“ nennt der Pasinger Künstler Fabian Vogl „Passivbaustelle“: „Eine Baustelle, auf der nichts passiert. Es ist ja keine wirkliche Baustelle, es ist der Gedanke einer Baustelle. Auf den ersten Blick wird mit Baustellenmaterialien gearbeitet, etwa dem typischen Band, aber auf den zweiten Blick sehe ich, dass das keine Baustelle sein kann.“ Es ist ein Ort ohne unmittelbar erkennbaren Sinn. Eine Irritation im öffentlichen Raum, eine Absurdität. Dieser Art von Kunst geht Vogl, der in Wien, Salzburg und München Bühnenbild, Bildhauerei und Installation studiert hat, seit 15 Jahren nach. Freilich kreiert er auch andere Werke. Aber seine „Passivbaustellen“ hat er schon über den halben Globus verteilt. Er war in China, Vietnam, Kanada und Russland. Für die Zukunft steht unter anderem Australien an. Dorthin wird Vogl, wie schon mehrfach, mit einem Kameramann reisen.
Derzeit allerdings hält er sich in München auf und eilt immer wieder mal in sein Neuhausener Atelier. Den Bewohnern der Landeshauptstadt bietet er seit Kurzem einen besonderen Online-Service an. Jeder kann sich über Vogls Webseite www.fabianvogl.de oder streetartforyourhome.de eine „Passivbaustelle“ ordern, mehr oder weniger direkt vor die Haustür. Das ist jedoch kein besonderer Corona- oder Lockdown-Service. Vogl ging die Idee schon lange im Kopf herum. Doch erst jetzt, da der Künstler nicht auf Reisen gehen kann, fand er die Zeit, das Projekt zu realisieren. „Ich suche mir einen Ort etwa in einem 50-Meter-Radius um den Wohnort des Auftraggebers. Wenn jemand einen exakten Platz wünscht, gehe ich natürlich darauf ein. Für mich ist es aber auch spannend, wenn ich in der nahen Umgebung der Wohnung einen Anknüpfungspunkt finde. Einen Laternenpfahl. Eine Fahrradinsel.“
Für eine seiner jüngsten Arbeiten und eine der ersten Bestellungen über den Online-Service wählte der Passivbauer zwei Stromkästen in Schwabing aus. Ein Anwohner hatte Vogls Basispaket geordert: zwei Anfahrten innerhalb Münchens, drei Arbeitsstunden, dazu kommen noch mindestens vier Materialien. Vogl fuhr in die Schwabinger Konradstraße, suchte sich die Stromkästen als Platz des Geschehens aus und durchstöberte anschließend den Baumarkt nach den gewünschten Zutaten. Im Atelier stellte er daraus die Grundlagen der „Passivbaustelle“ zusammen. Seine siebenjährige Tochter half. „Diese Baustelle bestand unter anderem aus Helium-Luftballons und Gewürzen“, erzählt er. „Meine Tochter meinte, das sei eine ,Geburtstagsbaustelle‘.“
Wer sich ein Basispaket wünscht, dazu einen Fotoabzug des finalen Werks auf Alu-Dibond und beispielsweise die Materialien Helium-Ballons, Dachlatten, Ytongstein und Blumen/Gewürze wählt, zahlt 286 Euro. „Das ist mehr eine Aufwandsentschädigung“, sagt Vogl. Reich wird er dadurch nicht. Den Künstler fasziniert an dem Projekt vor allem, dass er in seiner Arbeit nicht so frei ist wie sonst. „Es geht um das Fremdbestimmte und darum, Kunst vor die Haustür bestellen zu können wie ganz normale Pakete. Ich kann nie im Voraus sagen, welche Materialkombinationen gewünscht werden – und dann kommen manchmal Sachen raus, die man selbst so nicht machen würde.“
Das unterscheidet die neuen „Passivbaustellen“ per Online-Service von ihren Schwestern, die Fabian Vogl auf eigene Faust und nach eigenen Vorstellungen in aller Welt errichtete. Eines aber gilt für beide Varianten: Die Werke entstehen meist im öffentlichen Raum. „Ich kapere mir ein Stück davon, und wenn die Baustelle dort stört, dann wird sie entfernt.“ Das mit dem Stören ist durchaus erwünscht. Schließlich will Vogl mit seinen Kunstwerken irritieren, die Menschen aus dem Trott holen – und vielleicht ein bisschen zum Denken bringen.
Bestellungen
unter www.fabianvogl.de oder auch streetartforyourhome.de.