Der derbe Titel führt in die Irre. Es handelt sich bei Mieko Kawakamis Buch um einen sehr klugen, in Ansätzen feministischen Text. Und um Männer, wie der Titel andeutet, geht es nur indirekt. Die treten zwar gelegentlich in Erscheinung, dann allerdings durchgehend als veritable Enttäuschung, als gewalttätig, überflüssig oder gesichtslos. Auch das zartblumige Buchcover in Pastelltönen bringt einen auf die falsche Spur. Denn trotz des sanft anmutenden Titelbilds geht es in „Brüste und Eier“ ganz schön zu Sache. Auf andere Weise als zunächst erwartbar allerdings. „Brüste und Eier“ handelt vom Frausein heute, vom Alleinsein und vom Ausgebeutet-Werden. Von Armut, von patriarchaler Herrschaft und den geringen Möglichkeiten, sich aus beidem zu befreien. Einen äußerst raffiniert komponierten Frauenroman hat die 1976 in Osaka geborene Autorin verfasst. In ihrer Heimat längst erfolgreich, wird Kawakamis aktuelles, hymnisch gefeiertes Werk über zwei ungleiche Schwestern jetzt gerade ihr internationaler Durchbruch.
Erzählerin in „Brüste und Eier“ ist die 30-jährige Natsuko, die sich als Schriftstellerin und Journalistin immer knapp unterhalb der Armutsgrenze durchschlägt. Als ihre ältere Schwester, die Bardame Makiko, und deren pubertierende Tochter Midoriko auftauchen und lange bleiben, kommt es zu Spannungen – und zu jeder Menge verstörender Situationen rund um das Thema weibliche Selbstoptimierung. Denn die geht, so viel darf verraten werden, weit über das übliche Schminken, Färben, Zupfen und Fasten hinaus.
Im zweiten Teil will Natsuko acht Jahre später, nach wie vor ohne Partner, unbedingt ein Kind haben. Kawakami schildert mit bitterbösem Humor die grotesken Situationen, in die eine ledige Frau mit solchem Wunsch geraten kann. Das alles liest sich, dem Titel zum Trotz, komplett sachlich und unsinnlich. Die nüchterne, beiläufige Sprache Kawakamis bildet einen reizvollen Kontrast zu dem quasi einzigen Inhalt des Buchs, dem weiblichen Körper mit allen Hautfalten, Öffnungen und Unzulänglichkeiten. Peinlich ist ihr nichts – allerdings geraten manche Passagen dann doch arg ausführlich. Dass das Bleichen der Brustwarzen eine schmerzhafte Angelegenheit ist, hat man nach sieben Seiten längst verstanden.
Mieko Kawakami hat einen vermutlich für alle westlichen Gesellschaften gültigen Text geschrieben, der von der Schönheitsoperation bis zur künstlichen Befruchtung keinen Aspekt des modernen Frauseins ausspart. Alles ist gleich wichtig fürs Leben von Natsuko, Makiko und Midoriko. Alles formt und prägt ihren Charakter und ihr Menschenbild. Das erscheint manchmal wahnsinnig oberflächlich und banal. Manchmal aber auch überraschend scharfsinnig, fast schon weise. Die Stärke von „Brüste und Eier“ liegt in der großen Würde dieser Frauen aus prekärsten Verhältnissen, die sich auf einer zweiten Ebene hinter ihren ausschließlich auf Äußerlichkeiten bezogenen Dialogen entwickelt. ULRIKE FRICK
Mieko Kawakami:
„Brüste und Eier“.
Aus dem Japanischen von Katja Busson. Dumont Verlag, Köln, 495 Seiten; 24 Euro.