Im hymnischen Ton

von Redaktion

CD-Edition zum heutigen 100. Geburtstag: Paul Celan liest eigene Gedichte

VON HILDEGARD LORENZ

Zwei Jahre war es her, dass die Bukowina und ihre Hauptstadt Czernowitz nicht mehr als letzter Außenposten zur österreich-ungarischen K.u.K-Monarchie gehörten, sondern zum damaligen Groß-Rumänien (heute zur Ukraine). Man schrieb den 23. November 1920, als dort ein gewisser Paul Ancel das Licht der Welt erblickte. Später drehte er die Silben seines Nachnamens um und nannte sich Paul Celan.

Während seine Eltern der nationalsozialistischen Judenvernichtung zum Opfer fielen, überlebte er die Zwangsarbeit. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete Celan als Übersetzer und Schriftsteller. Aus dem kommunistischen System floh er abermals – über Budapest und Wien – und lebte seit 1948 mit seiner Frau in Paris. Dort starb er vermutlich am 20. April 1970. Außer seinem heutigen 100. Geburtstag begehen wir damit in diesem Jahr auch sein 50. Todesjahr.

Paul Celans „Todesfuge“ („Schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie abends…“) kennt jeder Gymnasiast, weil Deutschlehrer sie in der Oberstufe behandeln, meist um den 9. November herum. Doch wer von diesen Schülern weiß schon, als welch begnadeter, genialer Lyriker Celan sich auch in seinen anderen Gedichten präsentiert? Das Lesebuch beschränkt sich leider meist nur auf diesen einzigen Paradetext zu einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.

Dabei ist Celans Gedicht-Gesamtausgabe (bei Suhrkamp erschienen) eine unerschöpfliche Quelle von Trostworten, Meditationsanstößen und vielleicht sogar Orakelsprüchen. Wie man es früher dem alten „Zauberer“ Vergil nachsagte, kann man auch Celans Gedichtband aufs Geratewohl irgendwo aufschlagen und ein paar Zeilen wie „es ist die Wahrheit selbst/ unter die Menschen getreten/ mitten ins Metapherngestöber“ („Ein Dröhnen“) einen ganzen Tag lang mit sich herumtragen.

Warum dieser Lyriker nie in der breiten Masse bekannt geworden ist, liegt vielleicht auch daran, dass er seine Texte anfangs in einer höchst eigenwilligen Diktion vortrug und sich dabei nicht dem Geschmack der Zeit anpasste. Als Celan sich im Jahr 1952 als noch unbekannter Autor in Niendorf an der Ostsee auf Einladung des Nordwestdeutschen Rundfunks bei der Gruppe 47 vorstellte, wurde die Autorenlesung (wegen der vielen Anmeldungen begann sie nach einem langen Tagungstag erst um 21 Uhr) vom Chef der Gruppe Hans Werner Richter schroff und persönlich beleidigend verrissen. Lesung und Texte waren durchgefallen.

Jetzt hat der Hörverlag, der sich seit seiner Gründung besonders mit den Originalstimmen der Autoren befasst, diese historische Aufnahme aus dem Archiv ausgegraben und ungekürzt in technisch überarbeiteter Form auf CD veröffentlicht – zusammen mit weiteren Lesungen des Autors, manchmal sogar in verschiedenen Vortragsvarianten. Das Ganze ist mit einem hervorragendem Aufsatz von Hans Ulrich Wagner versehen. Auch eine sehenswerte Fotografie des für Celan verhängnisvollen Niendorfer Treffens ist zu sehen – man kann sich also selbst ein Urteil über den scheinbar desaströsen ersten öffentlichen Auftritt bilden. Zuerst wird der Hörer vielleicht irritiert sein. Der Autor liest nicht, wie „man“ heute liest oder wie ein Schauspieler der Fünfzigerjahre agiert hätte. Möglich, dass Celan sich in seiner Vortragsweise am hohen Stil des gefeierten Schauspielers Alexander Moissi (1879-1935) orientierte. Intendiert war ein hymnischer Ton, doch dafür hatten die Realisten aus der Gruppe 47 kein Ohr.

Diese CD begnügt sich nicht mit den Tondokumenten von 1952. Die Beispiele reichen bis zum Jahr 1967 und wandeln sich vom anfänglichen Pathos zu normalen, modernen Lesungen. Und manchmal kann dabei ein und dasselbe Gedicht, auf zwei verschiedene Arten vorgetragen, zu zwei verschiedenen Texten werden.

„Paul Celan liest Todesfuge“,

Gedichte und Prosa 1952-1967 (Der Hörverlag).

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