Macht und Moral

von Redaktion

VON JOACHIM HEINZ UND PETER ZSCHUNKE

Rückblick in bessere Zeiten: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen erscheinen im ersten Band der Memoiren des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama als wichtiger Pfeiler der Außenpolitik seines Landes. Zu Kanzlerin Angela Merkel entwickelte der heute 59-Jährige ein zunehmend freundschaftliches Verhältnis, wie in „Ein verheißenes Land“ deutlich wird.

„Merkels Augen waren groß und strahlend blau, und sie konnten abwechselnd den Ausdruck von Frustration, Belustigung und Andeutungen von Besorgnis annehmen“, beobachtete Obama, der 2008 als US-Präsident gewählt, 2012 im Amt bestätigt wurde und 2016 seinem Nachfolger Donald Trump weichen musste. In der „Mitte-rechts-Partei Christlich Demokratische Union“ habe sich Merkel „mit einer Mischung aus organisatorischem Geschick, strategischem Scharfsinn und unerschütterlicher Geduld planmäßig nach oben“ gearbeitet. Je mehr er sie kennengelernt habe, desto sympathischer sei sie ihm geworden, schreibt Obama. „Ich empfand sie als zuverlässig, ehrlich, intellektuell präzise und auf eine natürliche Art freundlich.“

Obama betrachtete Europa als „Block“ und unterstützenden Partner der USA auf der Weltbühne. Diese Fähigkeit sei in hohem Maße von der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich abhängig, schreibt er. Weniger gut als Merkel kommt dabei der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy weg, der von 2007 bis 2012 im Amt war. Die Gespräche mit diesem seien „abwechselnd amüsant oder zum Verzweifeln“ gewesen. Und anders als Merkel habe Sarkozy nur begrenzt Englisch gesprochen und deswegen immer einen Dolmetscher dabeigehabt.

Egal, wie gut Obama bei europäischen Gesprächspartnern ankam – dies habe nicht bedeutet, dass Merkel oder andere „leicht herumzukriegen waren“. Nach der Finanzkrise von 2008/09 sei es etwa nicht einfach gewesen, die um die Haushaltsstabilisierung besorgte Kanzlerin zu überzeugen, „sich uns bei der Förderung von direkteren Mitteln zur Bekämpfung der Krise anzuschließen“.

Auch „ihr auf Sparsamkeit bedachter Finanzminister Wolfgang Schäuble“ hat im Buch seinen Platz erhalten. Bei der Beschreibung der Finanzkrise in Griechenland wird deutlich, wie genau Obama in seinen Einschätzungen auf die jeweilige Situation seiner Partner geachtet hat. So seien Sarkozy und Merkel damals aufgefordert gewesen, „ihre Wählerschaft dafür zu erwärmen, einem Haufen Fremder aus der Patsche zu helfen“. Doch sowohl die Deutsche als auch der Franzose seien zu sehr vom Gedanken der europäischen Einheit überzeugt gewesen, um nationale Vorbehalte gelten zu lassen.

Beim Klimaschutz waren dann die Europäer diejenigen, die die USA drängten, mehr zu tun. Auch hier sah Obama die deutsche Regierungschefin in einer führenden Rolle. Sie habe ihre Enttäuschung ruhig zum Ausdruck gebracht und Obama dann viel Glück bei Gesprächen mit der chinesischen Regierung gewünscht – mit der „Mimik eines Menschen, der es gewohnt ist, unangenehme Dinge in Angriff zu nehmen“. Eindringlich und mit vielen Details schildert Obama einen Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald zusammen mit dem Schoah-Überlebenden Elie Wiesel und Merkel. Er beschreibt diesen Tag als eine „Pilgerreise“ für Mitmenschlichkeit, gegen Hass und Intoleranz.

Moralische Impulse prägen auch den Blick des ehemaligen Präsidenten auf das eigene Land – in seinem Werk bringt er die Hoffnung zum Ausdruck, die USA könnten den Rassismus überwinden. So entschieden Obama in seiner Haltung ist, so zurückhaltend ist er bei zu hohen Erwartungen: „Das Amt des Präsidenten verändert deine Zeithorizonte. Nur selten tragen Bemühungen auf Anhieb Früchte.“

Der biblisch anmutende Titel seiner Erinnerungen stammt aus einem afroamerikanischen Spiritual, das Obama dem Buch voranstellt. Direkt darunter hat er drei Zeilen eines Gedichts von Robert Frost gesetzt: „Unterschätzt nicht unsere Kräfte;/ Wir haben uns genähert/ Der Unendlichkeit.“ Als schon in Ehren ergrauter Poet wertete Frost die Amtseinführung von John F. Kennedy 1961 literarisch auf; ein anderer Heilsbringer der jüngeren US-Geschichte.

Obama selbst stapelt indes zu Beginn des Buchs tief. Ein literarischer Zauberlehrling sei er nicht, räumt er ein. Der Schreibprozess verlief seinen Worten zufolge „nicht ganz nach Plan“. Ihm sei bewusst, „dass ein begabterer Autor einen Weg gefunden hätte, dieselbe Geschichte kürzer zu erzählen“.

Sein lässiger, auch selbstironischer Stil tut bei der Lektüre gut – gerade, wenn man an den Nachfolger im Weißen Haus denkt. Trump ist nicht nur rhetorisch schlichter. „Unsere Demokratie scheint am Rand einer Krise zu taumeln“, schreibt Obama, der den Republikaner auf den 1024 Seiten lediglich fünfmal explizit erwähnt. Er hoffe, dass die nächste Generation die Welt erneuere und „durch harte Arbeit, Entschlossenheit und eine große Portion Fantasie“ ein Amerika zustande bringe, „das endlich allem entspricht, was wir als Bestes in uns tragen“.

Das freilich ist Zukunftsmusik. Eines steht indes schon fest: Mit Teil eins seiner Erinnerungen hat der Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger, dessen Verehrung schon zu Amtszeiten mitunter messianische Züge annahm, das Buch der Bücher vorgelegt – zumindest, wenn man auf das laufende Geschäftsjahr der Branche blickt. Allein in Deutschland geht Obama mit einer Auflage von 300 000 Exemplaren an den Start.

Barack Obama:

„Ein verheißenes Land“. Aus dem Amerikanischen von Sylvia Bieker, Harriet Fricke, Stephan Gebauer, Stephan Kleiner, Elke Link, Thorsten Schmidt, Henriette Zeltner-Shane. Penguin Verlag, München, 1024 Seiten; 42 Euro.

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