Die Chronistin der Wartenden

von Redaktion

Dina Nayeri über ihr Buch „Der undankbare Flüchtling“ und den Geschwister-Scholl-Preis

VON MICHAEL SCHLEICHER

Warten zu müssen, kann uns langweilen, nerven. Warten zu müssen, kann Menschen aber auch an den Rand ihrer Existenz bringen, „vor allem, wenn sie nicht wissen, wie lange das Warten dauert“. Das geschehe täglich in den Flüchtlingslagern der Welt. Dina Nayeri macht mit diesem Beispiel deutlich, was in den Frauen, Männern und Kindern vorgeht, die – aus welchen Gründen auch immer – ihre Heimat verlassen mussten. „Warten, ohne zu wissen, wann es endet, ist das Schlimmste.“

Die Autorin, die bereits zwei Romane vorgelegt hat, weiß, worüber sie spricht. Als Tochter eines Medizinerpaars wurde sie 1979 im Iran geboren. Mit zehn Jahren emigrierte sie an der Hand der Mutter über Dubai und Rom in die USA, deren Staatsbürgerschaft sie heute hat. Auch über die eigene Fluchterfahrung schreibt Nayeri in „Der undankbare Flüchtling“. Wie berichtet, wurde der 41-Jährigen für dieses Buch der Geschwister-Scholl-Preis zuerkannt, der mit 10 000 Euro dotiert ist. „Ich fühle mich sehr geehrt, nun auf gewisse Weise mit Sophie und Hans Scholl verbunden zu sein.“ Im Sommer will sie München besuchen (siehe Kasten); zum Pressegespräch war sie am Freitag aus der Nähe von Paris zugeschaltet, wo sie lebt.

„Dina Nayeri führt ihre Leserinnen und Leser zur Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, in einem anderen Land zu leben, in Sicherheit zwar, doch immer unter Vorbehalt und zur steten Dankbarkeit verpflichtet“, urteilt die Jury. Dafür verwebt die Autorin den Bericht ihrer Flucht mit den Biografien und Erlebnissen Geflüchteter von heute. Recherchiert hat sie dafür in Flüchtlingslagern und war überrascht von der „Großzügigkeit, mit der die Menschen dort ihre Geschichten teilen“. Zudem ist „Der undankbare Flüchtling“ von essayistischen, auch philosophischen Betrachtungen durchzogen. „Wir müssen ein tiefes Verständnis dafür entwickeln, wie Nationen zu dem wurden, was sie heute sind“, ist Nayeri überzeugt. „In diesem Sinn gibt ihr Buch dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse und fördert moralischen wie auch intellektuellen Mut“, schreibt die Jury.

Nayeri zeigte sich am Freitag auch besorgt über die Verschlechterung des Zusammenlebens von Flüchtlingen und Einheimischen. „Immer mehr Herzen verschließen sich in alarmierender Weise.“ Wer in einer westlichen Gesellschaft lebe, dessen Stimme zähle – und der könne Flüchtlingen helfen, denn die „haben keine Stimme“. Sie wolle in ihrem Werk zeigen, wie ähnlich die Erlebnisse und Gedanken aller Menschen letztlich seien.

Dina Nayeri:

„Der undankbare

Flüchtling“. Aus dem Englischen von Yamin von Rauch. Kein&Aber Verlag, Zürich, 400 Seiten; 24 Euro.

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