„Wir teilten dieselben Träume“

von Redaktion

Zum ersten Todestag von Marie Fredriksson: Per Gessle über das neue Roxette-Album

Genau ein Jahr ist es heute schon her, dass Roxette-Frontfrau Marie Fredriksson an Krebs starb. Nun kann man die starke Stimme der Schwedin mit bislang unveröffentlichten Songs, Akustik-Versionen und auf Spanisch hören. Ihr Bandpartner Per Gessle erzählt im Interview, warum es Zeit für neue Roxette-Musik ist und weshalb Fredrikssons Gesang für ihn bis heute einzigartig bleibt. Der heute 61-Jährige bildete von 1986 bis 2016 mit Fredriksson ein Duo.

Marie Fredrikssons Stimme ist in der Sammlung „Bag of Trix“ aufs Neue zu hören. Was war das für ein Gefühl, mit Songs zu arbeiten, die Sie noch zu ihren Lebzeiten aufgenommen hatten?

Ich habe niemals wirklich realisiert, dass da so viel Song-Material in der Schublade gelegen hat. Einige dieser Titel sind nie zuvor veröffentlicht worden, einige sind verloren gegangen. Natürlich ist es sehr emotional, Marie singen zu hören. Besonders die Tracks, die ich vergessen hatte, die Abbey-Road-Sessions von 1995 zum Beispiel oder die letzten Songs, die wir für das „Good Karma“-Album aufgenommen haben.

Man hört den Roxette-Sound der Neunzigerjahre. Warum ist im Corona-Jahr 2020 Zeit für diese Musik?

Als Marie vergangenes Jahr kurz vor Weihnachten starb, war dies das Ende der Roxette-Saga. Ich habe dann all die herumliegenden Sachen durchgesehen, zusammengepackt und angehört. Es war einfach grandios, eine große Sammlung aus all dem zu machen.

Nennen Sie uns zwei oder drei Ihrer Favoriten.

Wir haben in den Neunzigern ein spanisches Album namens „Baladas en Español“ gemacht. Marie all diese Songs auf Spanisch singen zu hören, war einfach atemberaubend. Ich habe ein Lied mit dem Namen „You don’t understand me“ gefunden, das nie zuvor in dieser Sprache herausgekommen ist. Auch wenn ich kein Wort davon verstehe, kommt alles sehr gefühlvoll herüber. Das ist die Kraft von Maries Stimme. Es haut mich einfach jedes Mal um, wenn ich sie höre. Aber auch wenn man die akustischen Nummern hört, etwa die Version des „Help“-Songs von den Beatles: Es ist einfach umwerfend, ihre Stimme in einer klanglich quasi nackten Umgebung wie dieser zu hören.

Kritiker werden sagen: Wenn Roxette diese Lieder nicht auf vorherigen Alben verwendet haben, warum sollte man sie sich jetzt noch anhören? Ist all das nur eine Box mit ausrangierten Liedern?

Nein, nicht im Geringsten. Wenn man Alben macht wie wir, dann gibt es einfach viel Material. Als wir zum Beispiel „Have a nice Day“ aufgenommen haben, hatten wir vielleicht 35 Songs, aus denen wir wählen konnten. Manches lässt du einfach raus. Dabei geht es nicht um schlechte Qualität oder zweitklassige Lieder, sondern um den Wettbewerb zwischen den Songs.

Zurück zu Marie Fredriksson: Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an Ihre gemeinsame Zeit zurückdenken?

Es ist eine lange Reise gewesen. Wir kamen aus derselben kleinen Stadt, wir teilten dieselben Träume, wir wollten ins Ausland. Und wir waren sehr gut in verschiedenen Dingen: Ich war der Songschreiber, Marie war die Sängerin. Für mich war sie die perfekte Partnerin, weil sie eine tolle Person war. Aber auch, weil sie meine Lieder so viel besser machen konnte, da sie eine solch große Sängerin war. Andererseits brauchte sie als großartige Sängerin großartige Songs.

Als Roxette waren Sie gemeinsam mehrere Male in Deutschland. Wie haben Sie die deutschen Fans in Erinnerung?

Klar, wenn man in Südamerika spielt, dann reagieren die Leute auf eine bestimmte Weise, weil sie Latinos sind. Aber bei all unseren Shows in Deutschland, in Köln, Berlin und anderswo waren die Fans wirklich herausragend. Man sollte dabei daran denken, dass sich die Geschichte der Popmusik sehr stark um Amerika und England dreht. Da wir als Schweden auf Englisch für deutsche Fans sangen, trafen wir uns durch die englische Sprache. Das war sozusagen neutraler Boden.

Kürzlich haben Sie auch ein Album auf Schwedisch herausgebracht, es heißt „Gammal kärlek rostar aldrig“ (Alte Liebe rostet nie). Ist es Zufall, dass Sie sowohl Roxette-Musik als auch eigenes fast zur selben Zeit veröffentlichen?

Ich hatte nicht vor, irgendetwas allein zu veröffentlichen. Während der Pandemie war ich im Sommer viel daheim und bin ins Studio gegangen. Ich wollte einfach Musik machen. Dann habe ich mich auf mein altes Zeug gestürzt. Das sind im Grunde Songs, die ich in den Achtzigern und Neunzigern geschrieben, aber nie aufgenommen habe. Ich versuchte, die meisten Instrumente selbst zu spielen, was das Ganze recht speziell macht.

Speziell im Sinne von „besser“?

Nun ja, sagen wir: persönlicher.

Das Gespräch führte Steffen Trumpf.

Roxette:

„Bag of Trix“ (Warner),

CD-Tipp Seite 17.

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