Mit Zitat, Charme und Melone

von Redaktion

Kabarettist, Autor und Regisseur Sven Kemmler über sein Projekt „Pensées“

VON ANTONIO SEIDEMANN

Sven Kemmler kennt man als Kabarettisten, als Autor, als Regisseur und als Poetry-Slammer. Weniger bekannt ist vielleicht, dass Kemmler mit Begeisterung Kopfbedeckung trägt. Und zwar keine Mützen oder Fernfahrerkäppis, sondern richtige Hüte, am liebsten die des Londoner Herstellers Lock & Co. Hatters, Hoflieferanten sowohl des Duke of Edinburgh als auch des Prince of Wales. Bei Kemmlers Projekt „Pensées“ darf er nun allen seinen Leidenschaften mit Hut frönen. Dass es dabei nicht nur um die Kopfbedeckung geht, verriet uns der Kabarettist im Gespräch.

Seit Beginn der Corona-Krise gibt es die Kemmler’schen „Pensées“: ein Foto des Künstlers (mit Hut) und einem dazugehörigen Text zwischen philosophischem Aphorismus und Unfug. „Als die Möglichkeiten aufzutreten verschwanden, überlegte ich wie viele Kollegen, was mache ich jetzt? Es kam ja dann eine große Flut von Beiträgen und Programmen, die von zu Hause aus ins Netz gestellt wurden. Das wollte ich nicht. Ich habe nur bei einigen wenigen Aktionen von Theatern mitgemacht. Ich wollte lieber etwas, das speziell für das Format Internet konzipiert ist.“ Die meisten Netz-Beiträge für das Netz betrachtet Kemmler eher skeptisch: „Seien wir ehrlich, ein Konzert aus dem Wohnzimmer oder per Videoschaltung wie das der Rolling Stones und andere, ist nicht wirklich spannend. Nach zehn Minuten hat man keinen Bock mehr.“

Stattdessen ließ sich der Kabarettist auf etwas ein, das auf Dinge zurückgreift, die er eigentlich hasst: zum Beispiel Selfies. „Ja“, erklärt er lachend, „ich mache das, was ich vorher verurteilt habe“, und ergänzt: „Es sind aber Selfies mit künstlerischer Verfremdung, und es sollte niemals ein Zuhause-Gefühl aufkommen. Zuerst entsteht das Bild, dann kommen die Gedanken dazu.“ Etwa bei Pensées Nummer vier: Kemmler betrachtet auf einem Archivschrank liegend eine beleuchtete Weltkugel und sinniert: „Lao Tzu sagt, auch die längste Reise beginnt mit der ersten Buchung. Chuang-Tzu aber sagt, das Vorstellen ist CO2-neutral. Und ich bin die nächsten drei Stunden in Asien.“ Auf der einen Seite thematisiert Kemmler damit die Situation der Quasi-Quarantäne, verbindet dann aber damit weiterführende Gedanken, die gelegentlich Philosophen falsch oder richtig zitieren, manchmal einfach erfinden.

Wem die Bezeichnung „Pensées“ bekannt vorkommt: „Das Vorbild war natürlich Blaise Pascal mit seinen ,Pensées‘“, erklärt Kemmler. Der Franzose, 1623 geboren, hatte bis zu seinem Tod 1663 circa 1000 Zettel mit Notizen gesammelt für ein Werk zur Rechtfertigung des christlichen Glaubens, das jedoch nie erschien. Die Nachfahren ordneten alles und brachten kurz nach Pascals Tod die „Pensées“ als Buch heraus. Mit Religion haben Kemmlers Gedanken eher weniger zu tun. „Ich habe die Pensées noch dazu zweisprachig auf Englisch und Deutsch veröffentlicht, aber nicht auf Französisch. Das ist natürlich ein wenig quatschig.“

Geld verdienen lässt sich mit den Internet-Gedanken eher nicht, oder vielleicht doch ein wenig? Tatsächlich hat es der Autor mit einer Crowdfunding-Kampagne geschafft, die „Pensées“ als Buch herauszubringen – mit dem Untertitel „77 Weisheiten des Zven-Buddhismus“. „Crowd-funding ist natürlich eine Art Mäzenatentum“, meint er. Reich wird man so nicht. Aber für den Künstler in auferlegter Quarantäne ging es um mehr: „Du musst als Künstler auch präsent bleiben. Und außerdem hat mich das Projekt auch davon abgehalten, mich gehen zu lassen.“

Dann schon lieber Hut auf! Und einen Gewinn hat das Projekt auf jeden Falls bereits gebracht. Mit dem Weltkugel-Bild nahm Kemmler an einer Aktion von Lock & Co. Hatters teil und gewann. Der Preis: ein Homburg. „So einen wollte ich schon immer haben“, leuchten Kemmlers Augen. Wenn alles gut läuft, kann man ihn mit Homburg und anderen Hüten in einer Ausstellung sehen: Sobald Corona es zulässt, kommen die „Pensées“ in die Truk-Tschecharow-Galerie in München-Schwabing. Um bei den „Pensées“ auf dem Laufenden zu bleiben, besucht man am besten die Internetseite www.sven-kemmler.de.

Sven Kemmler:

„Pensées oder 77 Weisheiten des Zven-Buddhismus“. Wortmeisterei, Bochum, 143 Seiten; 30 Euro.

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