Seinen Charakterkopf kannte jeder

von Redaktion

Trauer um den französischen Schauspieler Claude Brasseur

VON ZORAN GOJIC

In Deutschland, da ist Claude Brasseur seit 40 Jahren zunächst und vor allem Sophie Marceaus Vater in „La Boum“. So sehr hatten das die Zuschauer verinnerlicht, dass ein kleiner Sturm im Wasserglas losbricht, nachdem Brasseur ein paar Jahre darauf in „Abstieg zur Hölle“ Marceaus Gatten spielt und in einigen textilarmen Sequenzen den Vollzug dieser Filmehe darstellt. Viele sind verstört, für die Fans von La Boum ist das Inzest, irgendwie.

In Frankreich, da ist Brasseur eine Institution, und die beiden „La Boum“-Filme 1980 und 1982 sind nur einige seiner großen Erfolge. Insgesamt steht Brasseur über 150 Mal vor der Kamera, zuletzt 2018. Ein Schauspieltier, dessen Charakterschädel jeder erkennt, selbst wenn ihm der Name nicht einfallen will.

Dass er Schauspieler werden würde, steht im Grunde in der Stunde seiner Geburt fest – beide Eltern stammen aus Schauspieldynastien. Aber Brasseur macht es sich und seiner Umwelt erst einmal schwer. Ein schwieriger Jugendlicher, nach der Scheidung der Eltern außer Rand und Band. Trotzdem schafft er es ans Theater, Talent ist unübersehbar. Gerade als er erste Filmrollen ergattert, entscheidet er sich überraschend für den Dienst im Militär und dient drei Jahre – unter anderem in der damals brodelnden Kolonie Algerien.

1965 macht ihn Jean Luc Godard mit „Bande à part“ zum Star, von da an ist er ein Fixstern im europäischen Kino. Er sieht nicht gut aus, hat keine besonderen Eigenschaften, aber er wirkt. Er spielt an der Seite namhafter Kollegen für alle großen Regisseure des europäischen Kinos. 1977 wird er mit der wunderbaren Tragikomödie „Ein Elefant irrt sich gewaltig“ (später Vorlage fürs lauwarme Hollywood-Remake „Woman in Red“) auch einem größeren deutschen Publikum ein Begriff.

Brasseur spielt alles und zickt nicht, er ist Verbündeter des Regisseurs. Wenn ein Typus zu erfolgreich wird, etwa einsamer Polizist, lehnt er danach konsequent solche Rollen ab. Er will beweglich bleiben und kein Star werden. Brasseur wird im Alter immer gefragter. „Ich bin Handwerker, kein Künstler“, begründet er das gerne, im Französischen ein hübsches Wortspiel mit „artiste“ und „artisan“. In den späteren Filmen wie „Frühstück bei Monsieur Henri“ (2015) spielt er geschickt mit dem Bild des knorrigen Mannes, der seine Unfähigkeit zum Umgang mit Gefühlen hinter sardonischem Witz tarnt. Brasseur ist im gesamten Habitus ein Mann des vergangenen Jahrhunderts mit der Gabe, das ironisch zu spiegeln, ohne es ins Lächerliche zu ziehen.

Als er zum 80. Geburtstag gefragt wird, welche seiner vielen Filmpartnerinnen von Romy Schneider bis Isabelle Adjani er am erotischsten findet, antwortet er: Sophie Marceau. Klar, er weiß ja, was für Wallungen so eine Antwort auslöst. Nun ist der große „Comedien“ im Alter von 84 Jahren gestorben. Und das europäische Kino hat einen seiner Besten verloren.

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