Autos, Bling-Bling und La-La

von Redaktion

Die meistgestreamten Hits des Jahres 2020: Ein Streifzug auch für über 25-Jährige

VON JÖRG HEINRICH

Die Erinnerung mag vieles verklären. Aber früher war das mit den Hits des Jahres womöglich einfacher. An Silvester lief die Jahresbilanz der „Schlager der Woche“ auf Bayern 3, mit Barbara Volland (die aber eigentlich gar keinen Nachnamen hatte und sich nur mit „Barbara“ vorstellte), später mit Thomas Brennicke. Dort liefen die Kracher, die das ganze Land gesungen und gepfiffen hatte. Smokie und Abba, Peter Maffay und Falco, Roxette und die Pet Shop Boys. Heute ist die Sache mit den Hits komplizierter. Wer über 25 ist und die Jahrescharts von Spotify aufruft, fragt sich häufig: Kenn ich das? Sollte ich das kennen? Und wer sind Apache 207 und Jawsh 685? Wir helfen weiter und erklären Deutschlands meistgestreamte Hits 2020.

1. „Blinding Lights“ von The Weeknd: Auf Platz eins die Ausnahme von der Regel. Den Superhit des kanadischen Sängers und Rappers kennt fast jeder. „Blinding Lights“ klingt nach Synthie-Pop aus den 80ern, nach A-ha und „Young Turks“ von Rod Stewart. Der Retro-Sound hätte auch Bayern-3-Barbara gefallen. Der 30-Jährige Abel Makkonen Tesfaye mit Wurzeln in Äthiopien nennt sich The Weeknd, weil er an einem Wochenende für immer von zuhause weggelaufen ist. Und weil es bereits eine Band namens The Weekend gab, strich er das dritte „e“.

2. „Roller“ von Apache 207: Der 23-jährige Rapper aus Ludwigshafen hat nichts mit Winnetou zu tun. Und die Zahl im Künstlernamen des türkischstämmigen Volkan Yaman steht brav und bürgerlich für den Bundestagswahlkreis seiner Heimatstadt. Der Apache-Mix aus Pop und Straßenrap ist gut tanzbar, dreht sich um Autos, Bling-Bling und Mädels. Die Vespa-Hymne „Roller“ klingt so: „Cruis’ mit offenen Haaren, und hinter mir sitzt eine Bitch like Barbie.“ 3. „Roses“ von SAINt JHN und Imanbek: Eine der vielen „Koops“ und „Features“, die heute die Charts dominieren. Zwei Künstler tun sich zusammen, um einen Hit zu landen – wie früher Suzi Quatro und Chris Norman („Stumblin’ in“), nur halt anders. „Roses“ stammt ursprünglich von US-Rapper SAINt JHN, wurde dann aber im Remix des kasachischen DJs Imanbek, der die Stimme verfremdete und höher legte, zum Welthit. Der Rap-Song ist ein Internetphänomen, für den Durchbruch sorgten ein Snapchat-Filter und zahllose Tik-Tok-Videos. 4. „Breaking me“ von Topic und A7S: ein Tophit aus Solingen! Von dort stammt DJ Tobias Topic (28), der auch schon mit Lena Meyer-Landrut zusammenarbeitete. Sein Ohrwurm „Breaking me“ mit der Stimme des schwedischen Sängers A7S würde auch zum ESC passen. Und nach dem dritten Refrain singt ganz Europa: „You’re breaking me, la-la-la-la, la-la-la-la.“ 5. „Rockstar“ von DaBaby und Roddy Ricch: Hier haben sich zwei US-Rapper zusammengetan und einen gigantischen Hit gebastelt. In den USA war der Song sieben Wochen Nummer eins der Billboard-Charts. Weil das Duo darin eigene Erfahrungen mit Polizeigewalt verarbeitet, lief ein Remix von „Rockstar“ 2020 häufig in Zusammenhang mit den Rassismus-Protesten in den USA.

6. „Dance Monkey“ von Tones and I: Die australische Singer-Songwriterin Toni Watson alias Tones and I schaffte als einzige Frau den Sprung in die deutschen Spotify-Top-10. Sie hat den Hit mit der Piepsstimme und der Kindermelodie „in einer halben Stunde in einem dunklen Schrank geschrieben“. Mit zehn Wochen auf Platz eins der britischen Charts knackte der tanzende Affe den Rekord von Whitney Houstons altehrwürdigem „I will always love you“. 7. „Airwaves“ von Pashanim: Der 20-Jährige Rapper aus Berlin-Kreuzberg heißt eigentlich Can David Bayram – und schaffte heuer mit seinem Kaugummi-Hit „Airwaves“ den Durchbruch. Er rappt darin über Fußballer, langes Ausschlafen, Motorroller und Markenklamotten. Als dem Song am Ende noch ein Aufhänger und ein Titel fehlten, fand Pashanim eine Kaugummi-Packung in seiner Hosentasche – und fertig war die Laube. 8. „Fame“ von Apache 207: Der Ludwigshafen-Indianer bleibt sich thematisch treu – mit poppigem Bling-Bling-Rap von der Straße, die aber längst in einem der besseren Stadtviertel liegt. Diesmal geht es um das plötzliche Berühmtwerden: „Wir fahren in Kolonnen durch meine Gegend. Ich tipp’ nur dis ins iPhone ein, was ich erleb’. Scheiße, Mann, jetzt sind wir also fame.“ 9. „Bläulich“ von Apache 207: Volkan Yaman ist mittlerweile so „fame“ (berühmt), dass es für einen AMG-Mercedes mit erheblicher Lärmentwicklung reicht, mit dem er unter dem bläulichen Nachthimmel durch Ludwigshafen röhrt – zum Verdruss des Ordnungspersonals: „Polizeikontrolle, Officer, du täuschst dich. Der Wagen ist ab Werk so laut, du träumst nicht. AMG-Emblem, es steht da deutlich. Schau’ in die Papiere, überzeug’ dich.“

10. „Savage Love (Laxed – Siren Beat)“ von Jawsh 685 und Jason Derulo: Der Ohrwurm mit dem La-La-Love-Refrain klingt nach Spanien oder Kolumbien, kommt aber aus Neuseeland. Dort hat ihn der 17-Jährige Musikproduzent Joshua Nanai alias Jawsh 685 geschrieben und aufgenommen. US-Popstar Jason Derulo klaute zunächst unerlaubt einen Teil von „Savage Love“ – bis sich die beiden einigten und mit einer gemeinsamen Version einen Riesenhit landeten. Sogar Bayerns Weltfußballer Robert Lewandowski postete ein Video, in dem er zu „Savage Love“ tanzt. Hier hätte wohl auch ein Thomas Brennicke mitgesungen.

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