Wiedergeburt zum Jahreswechsel

von Redaktion

Jean-Michel Jarre über sein Silvesterkonzert in einer virtuellen Notre-Dame

Er hat an der Chinesischen Mauer gespielt oder vor den Pyramiden von Gizeh. Nun startet Frankreichs Synthesizer-Guru Jean-Michel Jarre (72) sein nächstes Abenteuer: Er tritt an Silvester in einer Kathedrale auf, die es momentan in dieser Form gar nicht gibt – bei einem Konzert in Notre-Dame in Paris, das im Jahr 2020 beginnt und 2021 endet. „Welcome to the other Side“ („Willkommen auf der anderen Seite“) heißt das Spektakel, für das Jarre und sein Team die 2019 bei einem Brand schwer beschädigte Kirche in der virtuellen Realität nachgebaut haben. Das von der Unesco und der Stadt unterstützte Multimedia-Ereignis soll die Wiedergeburt von Notre-Dame einläuten.

Sie haben im Juni 2020 das Live-Konzert „Alone together“ in der virtuellen Realität gegeben. Das war ein bisschen verrückt, weil vor der Bühne die Avatare Ihrer Fans standen, die sich als Karotten, Tiger oder als tanzende Milchflaschen verkleidet hatten.

Das war eine Weltpremiere und sehr aufregend. Wir haben das Ganze innerhalb von drei Wochen aus dem Boden gestampft. Deshalb war die Show noch sehr reduziert, sehr roh. Aber das junge Team und ich haben uns toll verstanden. Daraus ist das Notre-Dame-Projekt entstanden, das viel ambitionierter ist. Wir bringen die Hard- und Software unserer Rechner ganz schön zum Ächzen.

Wie funktioniert so etwas technisch? Konnten Sie beim Spielen die virtuellen Karotten sehen?

Das war sehr lustig. Ich habe ja live auf einer Bühne in meinem Studio gespielt. Ich hatte diese Datenbrille auf dem Kopf, und nach fünf Minuten hat es sich tatsächlich angefühlt wie ein richtiges Konzert. Allerdings habe ich nicht echte Menschen vor meiner Bühne gesehen, sondern diese Tiger und Frankenstein-Figuren. So ähnlich wird das auch in Notre-Dame laufen. Ich habe meine Fans nur gebeten, diesmal nicht als Bugs Bunny oder Frankenstein zu kommen, damit es feierlicher aussieht.

Sie spielen also wieder live in einem Studio in Paris, ganz in der Nähe der Kathedrale. Und diese Bilder werden mit Animationen der virtuellen Notre-Dame gemischt.

Ganz genau. Das gleiche Prinzip wie im Juni, nur wesentlich aufwendiger. Das Ganze ist ein Projekt mit der Stadt Paris, mit dem wir der Welt ein Signal der Hoffnung senden wollen, zum baldigen Ende der Pandemie und zur Wiedergeburt von Notre-Dame. Die Kathedrale ist ja viel mehr als eine katholische Kirche. Sie ist ein wichtiger Teil des Weltkulturerbes, das alle Menschen berührt. Insofern finde ich es wunderbar, zum Beginn von 2021 einen Neuanfang zu feiern. Für mich hängen diese beiden Themen eng zusammen, es geht um den Weg aus einem dunklen Tunnel. Wir sind doch alle froh, wenn dieses schmerzhafte Jahr endlich vorbei ist.

Die Stadt Paris und Bürgermeisterin Anne Hidalgo haben sich sehr stark für Ihr Vorhaben eingesetzt.

Ich bin begeistert, wie visionär Madame Hidalgo mit dem Projekt umgegangen ist. Momentan sagen ja viele Verantwortliche in den Städten, wir begehen den Jahreswechsel nicht, es gibt nichts zu feiern. Doch sie versteht, dass man den Menschen gerade jetzt Mut machen muss und dafür innovative Ideen braucht.

Was können Ihre Zuschauer erwarten?

In den vergangenen Monaten haben über 100 Leute an diesem Konzert gearbeitet. Wir zeigen Notre-Dame ungeheuer detailliert, mit wundervoller Beleuchtung und im Originalzustand vor dem Feuer. Wir wollen, dass die Menschen ihre Kirche so sehen, wie sie sie kennen und lieben. Ich staune selbst immer noch, was technisch alles möglich ist. Unsere virtuelle Kathedrale sieht von innen und außen aus wie die echte.

Verabschieden Sie sich damit endgültig in die virtuelle Realität? Oder haben Sie weiterhin Lust auf echte Konzerte?

Ich liebe es zu touren. Ich möchte auf jeden Fall wieder vor meinen echten Fans spielen und nicht nur vor ihren Bugs-Bunny-Versionen. Aber ich habe zuletzt so viel gelernt, dass ein Mix aus echtem Konzert und der virtuellen Realität sehr spannend wäre. Ich habe schon einige Ideen, lassen Sie sich überraschen.

Das Gespräch führte Jörg Heinrich.

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