Bilder einer Familie

von Redaktion

Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte spürt einer in der NS-Zeit zerstörten Sammlung nach

VON SIMONE DATTENBERGER

Erwin Rosenthal, waschechter Münchner, aufgewachsen in der kunstsinnigen „guten alten Zeit“, wusste wohl schon Ende der Zwanzigerjahre, dass sie Vergangenheit war. Die Nationalsozialisten waren an der Macht; München zeigte ihrem Sohn die Fratze der „Hauptstadt der Bewegung“. 1935 belegte die Reichskammer der Bildenden Künste den promovierten Kunsthistoriker mit Berufsverbot. Es war klar, dass es in Deutschland keine Zukunft mehr gab für Erwin Rosenthal (1889-1981), für die gesamte Familie. Der Kunstkenner war ja kein Forscher im Kämmerlein, sondern der Chef des Antiquariats Jacques Rosenthal, das dieser 1895 in München gegründet hatte. Das Bücher-Schatzhaus war zu einem der besten in Europa aufgestiegen.

Wer mit kulturellen Werten beruflich zu tun hat, sammelt meist auch. Und die Kunstsammlung Rosenthal – von Lucas Cranach bis Lovis Corinth – ist nicht nur im Gedächtnis der Nachkommen präsent; Erwin Rosenthal war 1914 so klug – und sicher auch so stolz – dass er einen Katalog drucken ließ. Den gibt es heute noch. An diesem Punkt konnte Franziska Eschenbach vom Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) einhaken. Es ist unter anderem federführend in der Provenienzforschung. Die junge Wissenschaftlerin ist durch ihre Masterarbeit „Die Überlieferung zum Kunsthandel des Antiquariats Jacques Rosenthal im Firmen- und Familienarchiv des Stadtarchivs München“ (2016) fast schon ein Mitglied dieser Familie. Das prädestiniert sie jetzt, am ZI das „Forschungsprojekt zur Rekonstruktion der privaten Kunstsammlung von Jacques, Emma und Erwin Rosenthal“ zu leiten. Und: Sie hat das Vertrauen von Julia Rosenthal (Jahrgang 1953), Enkelin Erwins; ebenfalls kunstnarrisch und beruflich davon geprägt. Die Oxforderin arbeitet seit 1979 in den Antiquariaten ihres Vaters Albi.

Als geschichtsbewusster Mensch hat sie München – immerhin der einstigen Täter-Stadt – sogar Schriftstücke ihrer Familie überlassen. Da drängt sich die Frage auf, ob das alte Wunden aufriss. „Julia Rosenthals Beziehungen zu München sind schon sehr emotional“, erzählt Eschenbach. „Zu den Mitarbeitern des Stadtarchivs hat sie eine enge Verbindung, auch zu den Kollegen vom Jüdischen Museum, wo die Ausstellung zu Gabriella Rosenthal zu sehen war. Julia versucht, soweit das bei Corona möglich ist, immer wieder nach München zu kommen.“ Deswegen hat die Britin mit bayerischen Wurzeln auch den Antrag beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gestellt, das Forschungsprojekt im ZI zu bewilligen.

Eschenbach ist froh darüber, denn sie sitzt an vielen Quellen: „Es gibt den riesigen Bestand zu Rosenthals im Stadtarchiv, Korrespondenz, Firmenbücher; das ZI hat passend dazu das Böhler-Archiv sowie die Auktionskataloge von Weinmüller. Beide enthalten Verweise auf die Rosenthal-Sammlung.“ Will heißen: Kunst-Detektivin Eschenbach hat allerhand Spuren – über die  sie  jedoch noch nicht sprechen möchte. Man arbeite ja erst seit November daran. Das Dreieck München–Zürich–Paris beschreibt jedenfalls ihr Suchfeld.

Die Reichskammer hatte 1935 Erwin Rosenthal nicht nur Berufsverbot erteilt, sondern zwang ihn, seine Firma zu liquidieren. Er verkaufte das Werk seines Vaters Jacques, der das noch erleben musste (1850-1937), und sein eigenes an den Mitarbeiter Hans Koch – und ging in die Schweiz. Kochs Sohn Jan hat den „Grundstock des Nachlasses“ ans Stadtarchiv übergeben. Das reagierte 2002 schnell mit der Veröffentlichung: „Die Rosenthals. Der Aufstieg einer jüdischen Antiquarsfamilie zu Weltruhm“. Was aus den Büchern wurde? Eschenbach weiß auch das: „Manche Bücherpakete … wurden von Rosenthal den in- und ausländischen Kollegen zum Verkauf angeboten. Manches – wie seine umfangreiche Privatbibliothek – transferierte er in die Schweiz. Der restliche Bestand wurde von Koch übernommen. Nach dem Krieg sichteten die Söhne von Erwin Rosenthal die Bestände in München erneut. Nach der letzten Aufteilung … erkannte er die Übernahme des Antiquariats von Hans Koch endgültig an, und man verzichtete auf ein Verfahren.“

Der Münchner Erwin Rosenthal war 1936 – trotz Schweiz – weiterhin in Not. Zwar waren seine fünf Kinder in Sicherheit, aber er selbst nicht wirklich – und seine Mutter Emma überhaupt nicht. Der Kunsthistoriker bekam einerseits an seinem Zufluchtsort keine Arbeitserlaubnis, andererseits zitterte er um seine Mutter, die in München geblieben war. „Aus den Briefen kann man ersehen“, berichtet Eschenbach, „dass es eine sehr heikle Angelegenheit war, die nötigen Gelder für die Ausreise der Mutter zusammenzubekommen und über die Grenze zu bringen. Die Zeit von Rosenthal in der Schweiz, bis 1941, ist daher für uns ein wichtiger Forschungsaspekt.“ So rettete die Kunst das Leben von Emma Rosenthal (1857-1941). Erwin emigrierte mit seiner Frau Margherita in die USA.

„Verkäufe“ ist auch die Klammer, die das Projekt Rosenthal mit der ZI-Forschung „Händler, Sammler und Museen: Die Kunsthandlung Julius Böhler in München, Luzern, Berlin und New York“ verknüpft. 1936 war die Kunsthandlung mit der Veräußerung des Rosenthal- schen Konvoluts beauftragt worden. „Die Häuser lagen einander in der Brienner Straße gegenüber“, erzählt Forscherin Eschenbach. „Man hatte gute Beziehungen; für Rosenthal war es wichtig, seinen Besitz bei Böhler in Kommission zu geben. Damit fing für uns alles an – denn man fragt sich, wie groß diese Sammlung gewesen sein könnte. Deswegen lohnt es sich, dem Fall nachzugehen. Nach dem Krieg hatte die Familie keine rechtlichen Möglichkeiten, um Ansprüche auf verkaufte Werke zu stellen. Heute müssen wir berücksichtigen, dass die Verkäufe unter Druck getätigt wurden, um die Emigration zu finanzieren.“

Lief all das in München dem Anschein nach noch legal und „freiwillig“ ab, wurde in Paris die Wohnung der Rosenthals offen geplündert – vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Franziska Eschenbach erläutert den jetzigen Stand der Recherche: „In der Nachkriegszeit gab es Restitutionen, aber den genauen Umfang der Wohnungseinrichtung müssen wir erst noch erforschen. Wir haben uns jetzt erst mal auf die Münchner Kunstsammlung … konzentriert. Wir wollen sehen, was von den Artefakten in die öffentliche Hand gegangen ist. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben bereits ein Bild auf ,Lost Art‘ eingestellt. Das ist im Vorfeld des Projekts passiert. Wir suchen weitere Stücke in den Museen. Essenziell ist, dass man ins Gespräch kommt.“

Diplomatisches Geschick ist also auch bei dieser Forschungsaufgabe gefordert. Und natürlich die Kraft, Sisyphos-Arbeit zu ertragen. Wahrscheinlich entschädigen Franziska Eschenbach dafür die Telefonate mit Julia Rosenberg, die sich über jede Aktivität freut.

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