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von Redaktion

KULTUR-VORSCHAU, TEIL 3 Tiefe Verunsicherung bei der Ausstellungsplanung

VON SIMONE DATTENBERGER

Freuen täten wir uns schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut. So nämlich, frei nach Karl Valentin, fühlen sich die Kunstfreunde seit fast einem Jahr. Kinos und Konzerthallen, Museen und Theaterhäuser, ja Bibliotheken werden gern als Erste zugesperrt, wenn es wieder einmal heißt: Lockdown. Aller Verzagtheit zum Trotz wollen wir uns doch 2021 hinsehnen zu Museen und Ausstellungen – und sie damit hoffentlich herbeisehnen. Eine knappe Auswahl soll dabei helfen.

Ist für Berlin die Eröffnung des Humboldt-Forums ein Zitterspiel, darf München fest darauf vertrauen, dass die Glyptothek am 27. Januar – ja, leider nur – eröffnet werden könnte. Das sanierte Gebäude am Königsplatz ist startklar. In Berlin sollen die diversen Institutionen und die Museen vor allem für Kunst aus fernen Kontinenten fertig eingerichtet und in den kommenden Monaten zugänglich gemacht werden. Die großen ethnologischen Sammlungen und asiatische Kunst werden wohl im Herbst die Betrachter auf Entdeckungsreise schicken. Ähnlich ergeht es dem Ableger des Deutschen Museums in München, dem Nürnberger Museum der Zukunft; es möchte im Frühjahr aufmachen. Ihnen tut die Zeit, die der aktuelle Lockdown schenkt, ganz gut. Die Konzepte für die Inszenierung im Inneren können reifen.

Davon sind das Münchner Stadtmuseum und das Museum für Humor noch weit entfernt. Zum einen: Die alteingesessene Schatzkammer der Stadtbürger wurde vom eigenen Stadtrat schändlich behandelt. Die endlose geplante Sanierung beinahe abgewürgt, nun um zwei lange Jahre verschoben. Zum anderen: Das Humormuseum existiert als Traum und muss kämpfen, überhaupt auf die Welt kommen zu dürfen.

Immerhin gehört das Stadtmuseum zu den Häusern, die eine der Expositionen in der Pipeline haben, auf die man sich ohne Wenn und Aber freuen kann: weil man sie schon kurz sehen durfte. Für „Welt im Umbruch. Von Otto Dix bis August Sander – Kunst der 20er-Jahre“ gilt: nichts wie hin! Noch sensationeller ist in der Pinakothek der Moderne (PDM) „Au rendez-vous des amis – Klassische Moderne im Dialog mit Gegenwartskunst aus der Sammlung Goetz“. Da werden Kirchner, Picasso, Beckmann und Co. kühn und sehr amüsant herausgefordert.

Ähnliches gilt für das Franz Marc Museum in Kochel, das Schlossmuseum in Murnau und das Buchheim Museum in Bernried. In Letzterem erwartet Erich Heckel mit einer veritablen Werk-Schau die Betrachterinnen und Betrachter. „Innen, außen, drinnen, draußen… Aquarelle und Grafiken der Klassischen Moderne“ macht in Murnau genauso Lust auf Kunst-Natur wie in Kochel Anselm Kiefers filigranes „Opus magnum“. Zusammen mit dem Museum Penzberg – Sammlung Campendonk und dem Lenbachhaus werden die drei heuer eine echte Expressionismus-Sause anbieten; in Kochel ab dem Sommer „Ich bin mein Stil – Künstlerbildnisse im Kreis von Brücke und Blauem Reiter“. Das Museum Penzberg trumpft (eigentlich jetzt schon, wenn es dürfte) mit seinem Alleinstellungsmerkmal auf: Top-Kennerschaft in Hinterglasmalerei. Die Ausstellung „Hinter Glas gemalt. Geheimnisse einer Technik“ illuminiert das facettenreich – hoffentlich bald.

Höchste Spannung baut sich auf bei dem Titel „Kunst und Kapitalverbrechen“. Den hat das Bayerische Nationalmuseum in München gewählt – ausgerechnet für einen Altar. Der berühmte Münnerstädter Altar (Franken) von Tilman Riemenschneider und Veit Stoß wird nicht nur gewissermaßen rekonstruiert, sondern bietet auch viel Abgründiges. Schon das Interesse am Katalog (Hirmer Verlag) war groß, ohne dass jemand die Schau sehen konnte. Solch eine Begeisterung wird gleichfalls das Lenbachhaus auslösen, wenn sein Herzstück neu modelliert wird. „Gruppendynamik – Der Blaue Reiter“ erzählt von den internationalen, kulturgeschichtlichen und politischen Zusammenhängen der vielen Künstler von Wassily Kandinsky über Gabriele Münter, Alfred Kubin bis Elisabeth Epstein (ab Ende März). Auch die Sammlung Moderne Kunst in der PDM ist ähnlich vorsichtig in der Planung wie die Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau. Die staatliche Institution wagt sich an die Konzeption einer Präsentation von Konzeptkünstlerin, Fotografin und Filmemacherin Shirin Neshat (Ende November). Sie verbindet persische Elemente mit westlicher Ästhetik, auch in ihrem jüngsten Werk, „Land of Dreams“ (2019).

Die meisten neuen Ausstellungen wird es ab März in München geben. Die Kuratorinnen und Kuratoren scheinen auf diese Zeit als halbwegs solide Planungsbasis zu bauen. Die Kunsthalle München startet ein wenig gruselig mit „Erwin Olaf – Unheimlich schön“. Raffinesse und Verunsicherung sind angesagt. Die Seuchen-Verunsicherung ist für die Kunst jedoch wesentlich schlimmer. Sie nimmt den Künstlern, Kunstfreunden und Ausstellungsmachern nach und nach die Kraft. Vielleicht ist deswegen in München keine Schau zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys avisiert – obwohl die dritte Pinakothek und das Lenbachhaus bedeutende Arbeiten von ihm besitzen. Allerdings widmen sich das Wiener Belvedere, die Stuttgarter Staatsgalerie, die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf und der Hamburger Bahnhof in Berlin das Jahr über dem Meister.

Und weil niemand die Hoffnung aufgeben möchte, soll ein weiterer Meister vom Künstlerhimmel aus sein jüngstes Werk sehen dürfen: Christo. Paris will im Herbst den Arc de Triomphe verpacken lassen. Wird das möglich sein, da Christo-Aktionen regelmäßig riesige Volksfeste auslösen?

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