Liebe auf den ersten Blick

von Redaktion

Sir Simon Rattle äußert sich erstmals zu seiner Münchner Amtszeit

VON MARKUS THIEL

Drei Wörter reichen aus, um die Stimmung aller Beteiligten zusammenzufassen: Es wird wunderbar. Wie auch sonst, wenn am Ende monatelangen Liebeswerbens endlich die Unterschrift geleistet und eine heiße Affäre legalisiert wurde. In einer Video-Pressekonferenz, zu der sich Sir Simon Rattle aus seinem Berliner Haus zuschalten ließ, gab der designierte Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks einen Ausblick auf die kommenden Jahre. Mit typisch freundlicher, geistreicher Dauer-Ironie, in die sich nur gelegentlich Fakten mischten.

Was sicher ist, lässt sich also schnell aufzählen. Zu den Werken: Der 65-Jährige plant Bachs Matthäus-Passion, Mahlers Neunte, ein Purcell-Werk mit Chor, weiß noch nicht, was er zum Amtsantritt im Herbst 2023, geschweige denn zur Eröffnung des Konzerthauses dirigiert, und hofft, dass man am Ende seiner Ära einen programmatischen roten Faden erkennt. Zum Verhältnis zu seiner Heimat: Die britische Staatsbürgerschaft behalte er, anderes sei emotional unmöglich – die deutsche habe er allerdings beantragt.

Zu seinem Abschied vom London Symphony Orchestra: Es sei leicht, hierfür eine politische Erklärung à la Brexit zu finden, hier handle es sich jedoch um eine sehr persönliche, auch musikalische Entscheidung – er wolle einfach seiner Familie mit den drei Kindern nahe bleiben. Zum Vorwurf, warum er noch immer Pressekonferenzen auf Englisch halte: Er arbeite daran, im Übrigen müsse er sonst Journalisten auf eine harte Probe stellen. Und zur Frage, ob er nach München umzieht: „Berlin is home.“

Vier bis sechs Wochen pro Jahr will Rattle als Ehrendirigent dem Londoner Ensemble verbunden bleiben – ein schwacher Trost für ein Orchester, das sich in Spardebatten und mit einem geplatzten Konzertsaal-Projekt alleingelassen fühlen dürfte. Dass ein weiterer Saal-Kampf in München auf Rattle wartet, ist ihm nur zu bewusst. Und auch, dass er hierfür wesentlich bessere Voraussetzungen vorfindet als in London, besonders finanzielle. BR-Intendant Ulrich Wilhelm versicherte, er sei „sehr zuversichtlich“, dass das Konzerthaus im Werksviertel gebaut werde. Rattle meint, dass er dazu „schrecklich viele Gespräche“ führen werde, auch ermutigende – wobei er glaube, dass eigentlich keine Überzeugungsarbeit mehr nötig ist.

Wilhelm betonte überdies, dass die beiden Orchester des BR trotz Spardebatte erhalten bleiben – anders als 2004, als das Münchner Rundfunkorchester aufgelöst beziehungsweise mit dem Symphonieorchester fusioniert werden sollte. „Das Rundfunkorchester ist definitiv kein Wackelkandidat.“ Trotz Pandemie bewege sich „alles in seinem Saldo, den wir tragen können“. Es seien zwar Einnahmen aus Kartenerlösen ausgeblieben, andererseits habe das Symphonieorchester keine Tourneen unternommen. „Wir werden keine erratischen oder Panikmaßnahmen brauchen“, sagte der Intendant, der Ende Januar seine Amtszeit beendet.

Mit großer Emphase würdigte Rattle erneut das Münchner Ensemble. Dieses sei enorm gesund, verfüge über eine große Klangfarbenpalette – und noch immer sei der Geist Rafael Kubeliks zu spüren: Immer wieder erzählt Rattle davon, dass er das BR-Symphonieorchester schätzt, seit er es 1970 auf dessen Englandtournee mit seinem damaligen Chefdirigenten hören durfte. Und: „Ich liebte es vom ersten Moment an, an dem ich vor es treten durfte.“ 2010 war das im Münchner Herkulessaal, als Schumanns selten aufgeführtes Oratorium „Das Paradies und die Peri“ auf den Pulten lag.

Die Gewinnung neuer, junger Publikumsschichten, gern Education genannt, steht auch bei Rattle oben auf der Agenda. Er sei alt genug, um zu wissen, wie neu dies einst für die Orchester war. Mittlerweile gehöre Education zu ihren zentralen Aufgaben und sei genauso wichtig wie etwa die Aufführung von Schumanns Symphonien. Dass er das BR-Orchester ein Stück mehr für historische Aufführungspraxis trainieren möchte, ließ Rattle ebenfalls durchblicken. Denkbar sei eine kleinere Formation mit historischen Instrumenten.

Wie berichtet, wird Rattle als Gast bereits im März für drei Konzertprogramme nach München kommen. Bis dahin vertreibt er sich die Zeit unter anderem mit viel Spazierengehen an den Berliner Seen, Lesen, vor allem mit Kochen. Von Freizeit spricht er in diesem Zusammenhang eher nicht: „Wissen Sie, mit drei Kindern gibt es nicht so viele freie Momente.“

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