Endlich nicht mehr verkannt

von Redaktion

Phil Collins, der mit Genesis und als Solist berühmt wurde, feiert an diesem Samstag seinen 70.

VON ZORAN GOJIC

Warum also Phil Collins? Was hat der britische Musiker der Welt und insbesondere Musikkritikern angetan, dass er derart mit Häme überkübelt wird? Phil Collins selbst vermutet in seinen launigen Lebenserinnerungen „Not dead yet“ seine unheilbare Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung dahinter. Über Jahrzehnte ist er manisch aufgetreten und war einfach nicht in der Lage, auch mal Nein zu sagen. In den Achtziger- und Neunzigerjahren, seiner erfolgreichsten Phase, war es buchstäblich unmöglich, Phil Collins zu entgehen. Er hatte Hits mit seiner Band Genesis, er hatte Hits als Solo-Künstler, er machte die Musik für erfolgreiche Disney-Zeichentrickfilme, er tauchte in Filmen auf und, wenn dazwischen noch ein wenig Zeit blieb, wirkte er bei Wohltätigkeitsveranstaltungen mit.

Glaubt man ihm selbst, war ihm das gar nicht so recht bewusst, aber er war einfach ständig auf Achse und nicht zu bremsen. Beim weltumspannenden Benefizereignis „Live Aid“, das leicht zeitversetzt in London und in Philadelphia stattfand, trat Collins gleich in beiden Städten auf und sagte zu allem Überfluss bei derselben Gelegenheit zu, beim Auftritt der Rocklegenden von Led Zeppelin den verstorbenen Drummer John Bonham zu ersetzen – für die Fans im Grunde Gotteslästerung. So war das oft bei Collins. Er hat an sich nie etwas falsch gemacht, aber es wirkte immer so. Dabei war er bei besagtem Led-Zeppelin-Gastspiel der Einzige auf der Bühne, der nicht peinlich schlecht war.

Aber zu dem Zeitpunkt war es im Grunde schon gleichgültig, was Collins tat, die Journalisten und fast alle Musik-Snobs hatten ihr Urteil längst gefällt. Je erfolgreicher Collins wurde, desto vernichtender waren die Verrisse. Dabei hatte Lemmy Kilmister selig, der Kopf der Mördertruppe Motörhead, natürlich Recht, als er den Kollegen zur Verblüffung der Fachwelt leidenschaftlich verteidigte: Phil Collins sei ein phänomenaler Schlagzeuger und habe ein paar wirklich herausragende Lieder komponiert, man solle den Mann in Ruhe lassen. Und das ist in Kurzform das Zutreffendste, was man über Collins sagen kann.

Der einsame Junge aus einem stinklangweiligen Vorort Londons, der früh die Schule schmiss und aus der gutbürgerlichen Intellektuellen-Combo Genesis eine echte Rockband machte, ist zuallererst ein sensationell intuitiver Trommler, der zudem ein bemerkenswertes Talent für ebenso eingängige wie untypische Songs hat. Wer sich das in Erinnerung rufen möchte, kann sich mal wieder „Mama“ von Genesis anhören oder – klar – eben „In the Air tonight“, Collins Durchbruch als Solo-Künstler. Die extravagante Liedstruktur, der undurchdringliche Text, das war und ist immer noch großes Kino.

Viele haben sich über die rätselhaften Zeilen lustig gemacht, aber das improvisierte Sammeln der Gedanken, die einem gerade durch den Kopf gehen, ist eine Methode, die anerkannte Edel-Poeten des Rock wie Bob Dylan oder David Bowie auf unterschiedlichste Weise praktiziert haben – Collins war dabei wahrscheinlich am ehrlichsten, weil er ohne jede Berechnung vorging.

Später, als er keine Hits und keine Auftritte mehr hatte, ist Collins in einen Nebel aus Alkohol und Schmerzmitteln eingetaucht, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Eine Nervenverletzung und ein Gehörschaden machen ihn als Rockstar untauglich. Aber Stehaufmännchen Collins gibt natürlich nicht auf und bekommt jetzt, was man ihm über Jahrzehnte verweigerte: Anerkennung. Denn dieser Zappelphilipp der Popbranche ist ein exzellenter Musiker, der einige Klassiker zu verbuchen hat, die seine Kritiker überleben werden. Und so wird er vielleicht ein wenig entspannen können an seinem 70. Geburtstag diesen Samstag. Womöglich der Moment, auf den er ein ganzes Leben gewartet hat, wie er in „In the Air tonight“ singt.

Je erfolgreicher, desto vernichtender die Verrisse

Stehaufmännchen Collins gibt natürlich nicht auf

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