Der Komponist Moritz Eggert ist eine profilierte, manches Mal auch provokante Stimme im Kulturleben. Wir haben mit dem in München lebenden 55-Jährigen über die aktuelle Lage der Kultur, das Geldverdienen, laute Künstler und seine Hoffnung auf einen kreativen Vulkanausbruch gesprochen.
Ende des vergangenen Jahres sind Sie zum Präsidenten des Deutschen Komponistenverbandes gewählt worden. Die Einrichtung deckt den ganzen Bereich der Musik ab – von der Avantgarde bis zu Werbejingles. Liegt Ihnen diese große Bandbreite?
Die Einteilung in E- und U-Musik in Deutschland habe ich immer hinterfragt. Deshalb passt es für mich sehr gut, dass der Deutsche Komponistenverband jede Art von Musik abbildet. Im Augenblick müssen die Komponisten auch mit einer Stimme sprechen – die Probleme durch die Coronapandemie sind für alle ähnlich.
Wie geht es denn den Komponistinnen und Komponisten gerade?
Sie sind vielleicht nicht immer in so einer verzweifelten Situation wie die Musikerinnen und Musiker, die zum Teil ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Die kompositorische Arbeit ist langfristiger ausgelegt. Auch ich selbst habe Projekte, an denen ich momentan schreiben kann. Natürlich sind wir abhängig von den Aufführungen. Wenn unsere Musik nicht gespielt wird, bekommen wir kein Geld. Das werden wir auch in der Gema-Ausschüttung bemerken, die in diesem Sommer für das vergangene Jahr erfolgt. Da wird es katastrophale Einbrüche geben, die den U- und E-Bereich gleichermaßen betreffen – und die viele Jahre anhalten werden.
Wann verdient ein Komponist Geld?
Bei großen Aufträgen renommierter Klangkörper wird in der Regel ein Vorschuss gezahlt – das vollständige Honorar ist dann mit der Uraufführung fällig. Aber es gibt viele Komponisten, die fast ausschließlich von den Tantiemen leben – in Bayern gerade in der regionalen Musikkultur, wenn beispielsweise für Zither oder ein Zupforchester komponiert wird.
Die Kulturszene fühlte sich in der Pandemie lange Zeit von der Politik nicht angemessen wahrgenommen und ging auf die Straße. Es entstanden Bündnisse wie „Alarmstufe Rot“. Sie dagegen empfahlen Kulturschaffenden Anfang November in Ihrem Blog, lieber zu schweigen.
Wenn ganz Deutschland unter der Pandemie leidet, ist es nicht der richtige Moment zu sagen: Ich bin der arme Künstler und darf nicht auftreten. Die Restaurants sind auch geschlossen. Wenn ich nach dem Konzert in ein Restaurant gehe und mich dort über das Erlebte austausche, dann ist das für mich auch ein Teil der Kultur. Die Sonderrolle, die die Künstler für sich beanspruchen, finde ich problematisch. Aber natürlich wird der Moment kommen, in dem man als Künstler wieder laut sein muss – und zwar dann, wenn ein Konzertleben wieder möglich ist und wenn als Folge der Pandemie Kürzungen in den Etats diskutiert werden.
Haben Sie also nicht den Eindruck, dass die Kultur in Deutschland in der Corona-Krise zu wenig wertgeschätzt wird?
Nein, dafür bin ich auch zu viel im Ausland. Schauen Sie doch einmal in die USA oder nach England, dort gibt es viel weniger öffentliche Gelder für die Kultur. Wir sind schon verwöhnt in Deutschland. Die Kultur wird von der Politik grundsätzlich wertgeschätzt. Wenn man als Künstler immer nur sagt, wie relevant man ist, wird man nicht relevant. Man wird relevant durch das, was man zur Gesellschaft beiträgt.
Corona macht Probleme sichtbarer – und das nicht nur in der Fleischindustrie. Welche Probleme, die das Musikleben betreffen, werden Ihrer Ansicht nach deutlicher?
Der kommerzielle Klassikbetrieb mit seinen hohen Gagen und dem Dirigentenzirkus ist im Moment lahmgelegt. Hier habe ich die Hoffnung, dass langfristig ein Umdenken stattfindet und es gerechtere Verteilungsstrukturen gibt. Dass junge Sängerinnen und Sänger an Opernhäusern nicht mehr zu geringsten Honoraren so ausgebeutet werden wie bisher, während die wenigen Stars den Etat von ganzen Monaten aufbrauchen, wenn sie einmal auftreten. Ich persönlich würde mir auch eine größere Offenheit des Repertoires wünschen, damit wir mehr zeitgenössische Musik in den Spielplänen der Opernhäuser und den Konzertreihen erleben können.
Kann es sein, dass sich die Musik künftig mehr der Gesellschaft zuwenden muss, weil sie unter Rechtfertigungsdruck steht?
Die Rechtfertigung muss schon aus den Inhalten kommen. Kunst, die das widerspiegelt, was gerade passiert, wird eine wichtigere Rolle spielen – davon bin ich überzeugt. Da sehe ich auch manche akademische Kollegen kritisch, die sich in ihren Elfenbeinturm zurückziehen. Die große Verunsicherung jedes Einzelnen, die Ängste, die Verschwörungstheorien – das sind alles Themen, die die Kunst aufgreifen kann. Es wird in der Gesellschaft, wenn die Pandemie wieder halbwegs im Griff ist, eine große Sehnsucht nach Emotionalität und Nähe geben. Auch das kann die Musik ausdrücken.
Mit welchen Gefühlen und Gedanken schauen Sie auf dieses Jahr?
Mein Gefühl sagt mir, dass es noch schlimmer wird, bevor eine Besserung eintritt. Ich setze eher auf die zweite Jahreshälfte. Weil noch nicht langfristig geplant werden kann, sind sicherlich freie, flexible Künstler erst einmal im Vorteil. Das ist auch eine Chance. Das Schweigen derzeit bietet auch Gelegenheit, Kreativität zu tanken, damit man bereit ist, wenn es wieder losgeht. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe sind die Künste in den Zwanzigerjahren wie ein Vulkan ausgebrochen. So etwas Ähnliches erhoffe ich mir für die Zwanziger des 21. Jahrhunderts.
Das Gespräch führte Georg Rudiger.