So kennen wir sie. Auftritt Helena Zengel im Film „Neues aus der Welt“, der am 10. Februar auf Netflix startet: Sie schreit, tobt, beißt. Wild und unberechenbar wie in „Systemsprenger“, ihrem schauspielerischen Durchbruch 2019, will sie ihren Mitspieler abwehren. Der heißt Tom Hanks und ist einer der größten Stars in Hollywood. Helena ist zwölf – und auch schon ein kleiner Star. „Variety“ setzte das Mädel aus Berlin auf die prestigeträchtige Liste „Actors to Watch“ für das Jahr 2020. Eine deutliche Empfehlung des US-Magazins an alle Kinogänger: Leute, merkt euch ihren Namen! Bei den diesjährigen Golden Globes hat Helena Zengel die Chance auf einen Preis als beste Nebendarstellerin; wie gestern vermeldet, ist sie nominiert.
Wenn man die Berlinerin in diesen Tagen zum digitalen Interview trifft, dann wird trotz nerviger Bildschirm-Distanz innerhalb von Sekunden klar: Diese Kleene ist sich ihrer Wirkung bewusst. Ob sie sich unter Druck gesetzt fühlt von all den Vorschusslorbeeren? Es stimmt, sie hat sehr überzeugend das schwer erziehbare Früchtchen Benni in Nora Finkscheidts preisgekröntem „Systemsprenger“ gespielt. Doch Auszeichnungen wie von „Variety“ oder ein möglicher Golden Globe weisen in Richtung Zukunft – die Filmwelt erwartet Großes.
„Nein, das setzt mich gar nicht unter Druck – ich freue mich einfach darüber“, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen. Das passt zu ihrem neuen Film in Westernkulisse, der die beim Thema Hollywood wenig selbstbewusste deutsche Filmbranche in Aufregung versetzt hat. Helena! Dreht! Mit! Tom! Hanks! Immer wieder muss Zengel die immer gleichen Fragen beantworten: Wie ist es, mit einem Star wie Tom zu arbeiten? Sie tut’s routiniert, mit kindlichem Understatement: Ja, er sei ein „Riesenschauspieler“, „wirklich ein Superstar, mit dem nur sehr wenige die Chance haben, drehen zu können“, aber er mache es einem leicht. „Weil er lustig ist, er ist nett, er ist ein Gentleman, hat immer einen Witz in der Tasche und ist gar nicht abgehoben.“ Und dann ein kesses Grinsen: Sie hätte auch nicht gedacht, dass es so gut klappen würde zwischen den beiden – aber es sei eine echte Freundschaft entstanden.
Wieder gibt Zengel in „Neues aus der Welt“ den unnahbaren Wildfang. Sie spielt Johanna, ein von dem Indianervolk der Kiowa aufgezogenes Kind, das nach einem Überfall auf den Stamm alles verloren hat. Ein Veteran (Tom Hanks) nimmt sich ihrer an und bringt sie auf einer Reise quer durchs Land zu Überlebenden ihrer eigentlichen Familie. Es verwundert nicht, dass Regisseur Paul Greengrass Helena für den Part der Johanna haben wollte. Sie liefert ab, wodurch er in „Systemsprenger“ auf sie aufmerksam geworden war: archaische Rohheit.
Die stärksten Momente sind indes jene, in denen sie nicht kreischt und um sich schlägt. Sondern schweigend dasitzt und mit großen blauen Augen die Welt um sich taxiert. Das hat etwas Undurchdringliches. Was denkt dieses Mädchen über den Mann, dessen Sprache sie nicht versteht? Ohne Worte legt Zengel mal kalte Abweisung in ihren Blick, dann Neugierde; aber auch in den Szenen, in denen ihr Retter und sie etwas Nähe zueinander aufbauen, scheint eine Barriere zu bleiben. Dieses Kind hat Schlimmes erlebt und ist unfähig, anderen Vertrauen zu schenken.
Im Grunde also eine Figur wie die Benni aus ihrem Film zuvor. Doch auch hier verspürt Zengel, das betont sie, keine Sorge, künftig ständig für solche Rollen besetzt zu werden. „Nö, ich fühle mich mit Action wohl“, sagt sie. Sie ist da schon ganz Profi: „Ich finde es nicht schlimm, in diese Schublade gesteckt zu werden, weil es mir am besten liegt und ich es am meisten mag. Und wenn man sagt, dass ich Action gut kann, macht es ja auch Sinn, dass ich dabei bleibe.“
Ein bisschen sorgt man sich, ob auf diese Weise Potenzial verschenkt werden könnte. Zu früher Ruhm geht nicht immer gut. Auf eine klassische Schauspielschule möchte Helena nicht. „Weil ich mir diese Natürlichkeit und Authentizität beibehalten möchte“, sagt sie. Nein, in Wahrheit sagt sie „Authenzität“ und spricht vom „Ressigeur“. Weil keine Zwölfjährige das schon richtig aussprechen können muss. Man wünscht Helena Zengel, dass sie sich ihre Natürlichkeit bewahrt, aber trotzdem die Gelegenheit bekommt, noch mehr zu lernen. Für sie und für die Kinowelt. Ihr Name ist notiert.