Vom Schicksal geküsst

von Redaktion

INTERVIEW  Ex-Berlinale-Chef Dieter Kosslick über sein aktuelles Buch, Stars und neue Pläne

Er umarmte und küsste die Stars der Welt und galt als der personifizierte Bär der Berlinale: Dieter Kosslick (72). 18 Jahre lang prägte er mit schwäbischem Charme und Gemüt, aber auch mit scharfem politischem Verstand und seiner Lust an der Kulinarik das Filmfestival. Kosslick war Mr. Berlinale. Bis 2019, als mit der 69. Ausgabe sein Vertrag auslief. Nächste Woche würde die 71. Berlinale steigen; wegen Corona kann sie nicht wie gewohnt stattfinden (gesplittet in März und Juni). Wer den roten Teppich und all die Stars vermisst, dem seien Kosslicks Memoiren ans Herz gelegt: „Immer auf dem Teppich bleiben“.

Wie tief war das Loch, als Sie Ihren Posten aufgaben?

Ich bin nicht hart gefallen, und ich war nicht zu Gast bei der letzten Berlinale, ich habe mir eine Auszeit in Bayrischzell gegönnt. Dort, am Fahrkartenautomaten, haben sich zwei Damen umgedreht, eine sagte im breitesten Sächsisch: „Sie haben eine grandiose Ähnlichkeit mit Herrn Kosslick, den wir aus dem Fernsehen kennen.“ Und schließlich habe ich an dem Buch geschrieben.

Haben Sie mit dem Buch diese 18 Jahre verarbeitet?

Es geht nicht nur um 18 Jahre Berlinale, sondern auch um meine 25 Jahre beim Film. Um meine Münchner Zeit als Student und Werbetexter und meine Hamburger Zeit als Journalist, Autor und Redenschreiber. Ich habe ja immer wieder filmpolitische Diskussionen angezettelt – und so widmet sich das dritte Kapitel der Zukunft des Kinos. Aber natürlich kommen auch so Berlinale-G’schichtln vor.

Gibt es etwas, was Ihnen heute noch peinlich ist?

Ja, vor allen Dingen zu Beginn. Anfangs habe ich bei einem Dinner für Stars und Sponsoren die 60 Gäste begrüßt und sie einander einzeln vorgestellt. Und auch Kevin Spacey, worauf er sagte: „Ja, Kevin Spacey ist auch hier, ich bin aber Nicolas Cage.“ Das war extrem peinlich, und den ganzen Abend haben sich die Gäste mit anderen Namen angesprochen.

Mit Ihrem schwäbischen Charme und Dialekt- gefärbten Englisch haben Sie viel wettgemacht.

Im Ausland denkt man nicht unbedingt daran, dass die Deutschen die größten Humoristen und besonders charmant sind. Dieses Bild versuchte ich, ein bisschen zu korrigieren – mit Weltoffenheit. Und es hat mir dabei meine Heimat und meine Mundart geholfen. Es ist besser, so Englisch zu reden wie ich und Meryl Streep als Juryvorsitzende zu gewinnen, als sie mit einem perfekten Englisch nicht zu bekommen.

Vor dem Berlinalepalast schien es immer so, dass Sie der beste Freund aller sind.

Wir mochten uns und waren zum Teil befreundet, aber es hatte alles seine Grenzen. Es war ja nicht so, dass ich jedes Mal, wenn ich in L.A. war, mit George Clooney einen Nespresso getrunken hätte.

Wer ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen?

Ach, das ist schwer zu sagen, Mit Isabella Rossellini hab’ ich mich besonders gut verstanden, mit George Clooney auch. In meinem Buch habe ich nicht über Jury-Präsidenten geschrieben, sondern nur über die Präsidentinnen, das verrät viel, das waren Meryl Streep, Tilda Swinton, Juliette Binoche oder Charlotte Rampling. Und mit Claudia Cardinale, die ganz am Anfang einen Goldenen Ehrenbären erhalten hatte. Mit der hatte ich wirklich viel Spaß!

Wer hat Sie mit Starallüren genervt?

Da gab es welche, aber nicht so viele, wie man denkt. Eine – ich nenne ihren Namen nicht, weil sie ein großer, bewundernswerter Star ist –, wollte, dass wir morgens um 3 Uhr eine grüne Glühbirne für die Hotellampe besorgen, die genauso grün war wie die Äpfel auf ihrem Nachttisch. Und das haben wir gemacht!

Sie waren immer sehr kreativ, wenn es darum ging, Stars nach Berlin zu locken, wie Anouk Aimée, deren Foto Sie vor sich liegen hatten. Sie fragte, welches genau es sei, und machte ihre Teilnahme von der Wahl dieses Fotos abhängig.

Ja, so einfach ist das nicht, Weltstars zu locken; da musste man schon ein bisschen Körner auf den Teppich streuen. Das ist anstrengend für die. Dass Meryl Streep so fantastisch, herzlich und umgänglich war, war ein Highlight.

Sie nahm den Job als Jury-Präsidentin nur an, weil Sie ihr Jahre zuvor einen Blumenstrauß von der Tankstelle in Plastikfolie überreicht hatten, die Sie einem Gast auf dem Weg zur Bühne aus den Händen rissen.

Meryl Streep fand die Tankstellen-Blumen so erheiternd, dass sie meinte, es könnte auch als Jurypräsidentin sehr lustig in Berlin werden.

Als Berlinale-Chef waren Sie in aller Welt unterwegs, um Stars und Filme zu akquirieren; dabei durften Sie sogar den indischen Superstar Shah Rukh Khan in seinem Palast besuchen. Fühlen Sie sich vom Schicksal geküsst?

Das würd’ ich doch sagen! So viele Küsschen, wie da auf dem roten Teppich gewechselt worden sind! Und weil wir gerade dabei sind: Wir hatten einen Workshop zum Thema Filmküsse, da war auch Shah Rukh Khan anwesend. In Indien ist es verboten, sich in der Öffentlichkeit zu küssen oder darüber zu reden. Auf die Frage, wie er denn dann im Film küsst, meinte er, das sei ganz einfach, mit seiner langen Nase schaffe er es sowieso nicht bis zum Mund.

Nächste Woche, am 11. Februar, wäre es wieder so weit: Berlinale! Wäre nicht Corona. Wie fühlen Sie sich?

Da kommt ein ganz komisches Gefühl auf, das wird mir auch die nächsten zehn Jahre nicht aus der Wäsche gehen.

Was haben Sie jetzt vor?

Als Nächstes, dass ich wieder nach Bayern zum Fasten fahre. Ich berate weiterhin Filmfestivals, bin aber auch sehr glücklich mit meinen Hobbys: Ich male gern, ich hab einen kleinen Garten, koche gern, mache Musik – um es mit BAP von meiner ersten Berlinale zu sagen: Viel zu tun und viel passiert!

Das Gespräch führte Ulrike Schmidt.

Dieter Kosslick:

„Immer auf dem Teppich bleiben“. Hoffmann und Campe, Hamburg, 336 Seiten; 25 Euro.

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