Mit einem Massen-Coming-out und einem Manifest im „SZ-Magazin“ wünschen sich 185 Schauspielerinnen und Schauspieler eine öffentliche Debatte über Queersein und Diversität (wir berichteten). „Bisher konnten wir in unserem Beruf mit unserem Privatleben nicht offen umgehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten“, schreiben sie. Zu den Unterzeichnern, die sich unter dem Motto „Wir sind hier und wir sind viele“ als lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht-binär oder trans* outen, gehören Karin Hanczewski, Eva Meckbach, Bettina Hoppe, Ulrich Matthes, Jaecki Schwarz, Maximilian Mundt, Godehard Giese, Mark Waschke, Niels Bormann, Rainer Sellien, Mavie Hörbiger, Maren Kroymann, Ulrike Folkerts, Georg Uecker, Jochen Schropp, Jannik Schümann und Gustav Peter Wöhler. Wir sprachen mit Schauspielern von Münchner Theatern, die den Appell unterzeichnet haben:
Mehmet Sözer
Der gebürtige Wiener war sechs Jahre lang im Ensemble des Münchner Volkstheaters und ist nach wie vor hier zu Gast. Auch aus dem Fernsehen („Tatort“) kennt man den 29-Jährigen. „Als ich vor zehn Jahren beruflich anfing, habe ich schnell gemerkt, dass mein Schwulsein als Belastung gesehen wird“, sagt er. „Der Umgang war einfach nicht korrekt.“ Berührungsängste und fehlendes Feingefühl vermutet der Künstler hinter diesem Verhalten. „Ich habe zwar nie erlebt, dass jemand direkt gesagt hat: Du kannst keinen heterosexuellen Mann spielen, weil du schwul bist – aber das steht im Raum und schwingt mit. Nach der Manier: Du kannst dich schon outen, aber die Konsequenzen trägst du selbst.“ Ein Kollege wurde beim Vorsprechen vor rund zwei Jahren unterbrochen und erhielt die Ansage, er sei zu schwul für die Rolle und könne gehen. Er beschwerte sich bei seiner Agentin, die wiederum die Casterin anrief. „Woraufhin diese sich entschuldigt hat für die Wortwahl – aber sie hat sich seitdem nicht mehr gemeldet.“
Thomas Hauser
Das Ensemble-Mitglied der Münchner Kammerspiele glaubt, dass der Appell gegen die „Heteronormativität“ ein großer Schritt ist: „Ich habe mich noch nie in so einer großen Gruppe dargestellt, dieser Weg wird ja über weite Strecken alleine gegangen. Das rührt mich sehr.“ Für Hauser ist das auch ein Mutmacher, seinen Weg weiterzugehen. „Ich habe gelernt, meine Entscheidungen selbst zu treffen und mich nicht mehr zu verstecken.“ Gerade als Berufsanfänger sei das allerdings sehr schwer. „Entweder, du willst diese Rolle und erfüllst Klischees, oder du sagst ab.“ Mit der traditionellen Geschlechter-Definition kann der Künstler ohnehin nichts anfangen. „Weil ich merke, dass ich dem männlichen Rollenbild in der Gesellschaft – Kraft, Potenz, Verantwortung – nicht gerecht werde und auch nicht gerecht werden will und viele Attribute auf mich zutreffen, die Frauen zugeschrieben werden: Deshalb habe ich noch lange keine Gebärmutter.“ Was sich Hauser wünscht: „Es ist an der Zeit, über Bildgestaltung und Figuren-Psychologie in Film- und Bühnenrollen nachzudenken.“
Erwin Aljukic
Der Schauspieler wurde durch die ARD-Soap „Marienhof“ bekannt. „Ich habe schnell gemerkt, wie eindimensional die Darstellung ist. Dabei hätte ich doch als Künstler und Mensch so viel zu sagen.“ Als im dritten Jahr das Thema Behinderung und Sexualität anstand, wurde sein Frust zu groß. „Denn ich durfte nie eine glückliche Beziehung haben. Ich fragte die Verantwortlichen: Warum macht ihr das? Wir sollten ein positives Beispiel geben! Doch das wurde nie akzeptiert.“ Der 44-Jährige ist schwul und im Rollstuhl: „Die Kombination ist am schlimmsten. Die Behinderten-Community ist relativ asexuell, und in der Schwulenszene bediene ich kein Schönheitsideal.“ Die Schauspielerei ist für den Moslem mehr als Ventil, sie ist lebensnotwendig. „Das Theater ist offener als der Film. Ich würde mir wünschen, dass ich auch im Fernsehen zeigen kann: Mich macht viel mehr aus als meine Sexualität und meine Behinderung.“
Udo Samel
Der vielfach ausgezeichnete Bühnen- und Filmschauspieler („Babylon Berlin“) hatte sich vor rund 40 Jahren geoutet, „als ganz junger Schauspieler“, erinnert sich der 67-Jährige, der auch am Bayerischen Staatsschauspiel arbeitete. „Damals war das unerhört, und ich erhielt von noch jüngeren Kollegen viel Respekt.“ An die große Glocke hat Samel seine Homosexualität nie gehängt – „es wusste eigentlich jeder, und es gab Regisseure, die nach meinem Outing nie mehr mit mir gearbeitet haben“. Erst relativ spät hat sich Samel seine Homosexualität eingestanden. „Ich war bereits verlobt und bin nach Berlin gezogen, wo ich aber schon heftige homosexuelle Erfahrungen gesammelt hatte – es sollte meine einzige Verlobte bleiben.“ Warum der Künstler den Appell unterzeichnet hat? „Wir wollen keinen Preis gewinnen, sondern ich bin grundsätzlich gegen jede Ausgrenzung. Wenn ich einem Menschen begegne, will ich weder seine Religion noch seine sexuelle Ausrichtung wissen.“