Der Riesenflop von 1990

von Redaktion

Nikolaus Bachler über sein Münchner Opern-Debüt als Samiel im „Freischütz“

Einen größeren Reinfall hat die Bayerische Staatsoper in den vergangenen Jahrzehnten nicht erlebt. Die Premiere von Carl Maria von Webers „Freischütz“ im Februar 1990 geriet zum Kampf zwischen Publikum und Bühne (siehe Kasten). Mittendrin: Nikolaus Bachler, damals noch Schauspieler, der für den teuflischen Samiel engagiert war und sein Münchner Debüt gab. Der heutige Opernintendant erinnert sich an diesen Abend zwischen Wahnsinn und Irrwitz – wenige Tage, bevor er am 13. Februar selbst einen neuen „Freischütz“ in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov herausbringt.

Ist die neue „Freischütz“-Produktion Ihre späte Wiedergutmachung für den Reinfall von 1990?

Nein. Wiedergutmachungen in der Kunst gibt’s ja nicht, weil man nie weiß, wie es letztlich ausgeht. Schon als junger Schauspieler bekam ich es mit der Oper zu tun. Ich glaube, ich war 19, als ich an der Wiener Staatsoper als sprechender Priester in der „Zauberflöte“ auf der Bühne stand. Während meines Engagements am Hamburger Schauspielhaus war Niels-Peter Rudolph Intendant. Er fragte mich damals, ob ich der Samiel in seiner Münchner Inszenierung sein will. Und als er mir erzählte, was er mit dem Stück vorhat, dachte ich mir: Das wird ein Erdbeben auslösen.

Dieses Scheitern war also absehbar?

Man darf nicht vergessen: Dies alles hat sich vor 30 Jahren abgespielt. Ich kann mich noch erinnern, wie entsetzt der Staatsoperndirektor Wolfgang Sawallisch bei einer Probe zugeschaut hat. Die Inszenierung war gedacht als Persiflage auf alles, was in diesem Stück als romantisch gilt. Sie war allerdings auch handwerklich nicht gut. Dazu kamen einige eigenwillige Besetzungen… Die Reaktionen waren also nicht überraschend. Die Chiffre für meine Figur sollte Karl Valentin sein. Und für mich als junger Schauspieler war dieser unfassbare Buh-Sturm wie auf einem Rockkonzert. Ich fand das ziemlich beeindruckend. Die Leute sind von den Rängen runtergelaufen, um im Parkett der Bühne nahe zu sein und zu schreien. Ich habe bis heute einige Buh-Konzerte erlebt. Nichts kommt an diese Premiere heran. Außerdem: Ich hatte einen Vertrag für zehn Vorstellungen, nach der dritten wurde die Produktion abgesetzt und ich ausbezahlt. Auch das war toll.

War dieses Publikum noch nicht so weit für Konzepte abseits der Tradition?

Es war eine Zeit, in der Arbeiten von Ruth Berghaus oder Hans Neuenfels noch neu waren. Heute ist dieser Zugang zum Musiktheater gang und gäbe. Aber um ehrlich zu sein: Dieser „Freischütz“ wäre auch heute ein Riesenflop.

Wie war die Stimmung hinter der Bühne?

Das war unterschiedlich. Ich empfand das als großes Ereignis. Die Sängerinnen und Sänger waren schon sehr bedrückt. Der Chor war hämisch. Und Dirigent Otmar Suitner hatte kurz zuvor einen Schlaganfall, das wusste kaum einer. Sehr skurril alles.

Vermissen Sie solche Momente, wenn es richtig rappelt im Haus? Heute ist doch das Publikum recht brav geworden.

In der Oper gibt es immer noch Reste des Sich-Wehrens. Im Schauspiel wird mittlerweile alles hingenommen. Das können Sie brav oder lethargisch nennen. Es ist in der Oper nicht mehr so, wie es einmal war, aber zu kontroversen Auseinandersetzungen kommt es noch. Zu Zeiten von Alban Berg oder Gustav Mahler haben sich die Leute geprügelt, das haben wir schon in den Siebzigern vermisst.

Lag es damals auch am Stück selbst, weil man dem Publikum mit dem „Freischütz“ das Liebste weggenommen hat?

Ganz sicher. Auch das Karikieren der bayerischen Tracht wurde übel genommen. Bei Stücken des 20. Jahrhunderts gibt es nie eine solche Gegenwehr wie etwa bei „Rigoletto“. Außerdem existiert noch ein Phänomen, das ich verständlich finde: Bei Dingen, die einem wichtig geworden sind, weil man oft darüber nachgedacht und sie reflektiert hat, könnte man sich im Falle solcher Abende persönlich angegriffen fühlen. Letztlich macht dies alles aber unser Metier aus. Man muss es aushalten können.

Wie haben Sie 1990 die Staatsoper wahrgenommen? Als in Ehren verkrustetes Institut?

Ja. Weil damals das Schauspiel schon viel weiter war. Angefangen von Herrn Sawallisch kamen hier alle Männer in Sakko und Krawatte, auch die Chorsänger. In Ehren ergraut könnte man sagen – oder erstarrt. München hinkte manchen anderen Opernhäusern hinterher.

Gehört der „Freischütz“ zu den uninszenierbaren Stücken? Zu Werken wie „Fidelio“, bei denen es immer zu einer Art Bühnenkompromiss kommt?

Ein bisschen. Deshalb habe ich jetzt auch Dmitri Tcherniakov gebeten, weil ich finde, dass dieses Stück eher über Sigmund Freud zu lösen ist. Er ist ein wenig der Freud-Mann des Theaters. Die guten „Freischütze“, die ich gesehen habe, waren sehr unterschiedlich. Als ich mit meiner Mutter einmal in der Wiener Staatsoper war, fand ich das unglaublich gut. Dies hing vor allem mit der Musik zusammen: Karl Böhm am Pult, Gundula Janowitz als Agathe, und Otto Schenk inszenierte, wie eben Schenk Regie führte. Die Naivität des Stücks wurde sicherlich am großartigsten von Achim Freyer in Stuttgart getroffen. Aber erfüllend waren andere Produktionen für mich eher nicht…

Wann sagen Sie als Intendant bei Zuschauerreaktionen: Das geht zu weit?

So etwas gibt’s nicht – abgesehen von körperlichen Attacken. Zu meiner Zeit als Wiener Volksoperndirektor hat David Alden einen „Zigeunerbaron“ inszeniert. Eine Aufführung musste achtmal unterbrochen werden. Da wird’s schwierig, das verunmöglicht Kunst. Aber sonst darf alles sein. Künstler ist schließlich ein exhibitionistischer Beruf, da muss man jegliches Echo aushalten können. Was mich eher stört, sind die Reaktionen von den immer gleichen Leuten – da denke ich mir oft: Könnt ihr nicht mal bei einer absolut konventionellen Inszenierung buhen? Die haben wir schließlich auch.

Gab’s eine Premierenfeier nach dem „Freischütz“?

Weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nur erinnern, dass ich damals in einem schäbigen Ein-Zimmer-Apartment am Hauptbahnhof gewohnt habe. Das war wie in schlimmsten DDR-Zeiten. Trotzdem hatte ich eine wunderbare Zeit.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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