Dafür wurden Kinos gebaut

von Redaktion

Heute startet bei Netflix „Neues aus der Welt“ mit Helena Zengel und Tom Hanks

VON KATJA KRAFT

Es gab mal diesen Kino-Werbespruch. „Dafür werden Filme gemacht.“ In ihm klingt das ganze Vor- und Nachspiel mit, das so ein Abend im Lichtspielhaus verspricht. Die Frage vorm Rendezvous: Kuschel- oder doch zwei Sitze ohne Lehne dazwischen? Popcorn-verklebte Böden. Nach dem Abspann aus dem Saal taumeln, ein unwiderstehliches Wanken zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Gerade war man noch in der amerikanischen Prärie – und steht nun auf der Schwanthalerstraße, zwischen Shisha-Bar und Erotikshop.

So hätte es einem mit „Neues aus der Welt“ gehen können, dem neuen Film mit Tom Hanks und der Berlinerin Helena Zengel, die durch ihr Spiel auf einen Golden Globe hoffen darf (wir berichteten). Aber nein, der Film startet Lockdown-bedingt heute nur bei Netflix. Was bitter ist, denn wenn für Kinos gilt „Dafür werden Filme gemacht“, dann gilt für diesen Film: Dafür wurden Kinos gebaut.

Regisseur Paul Greengrass zelebriert mit Kameramann Dariusz Wolski die ganze Weite des Landes, das sich für seine unbegrenzten Möglichkeiten rühmt. Doch hier wirkt nichts einladend und zukunftsfroh. Hinter jedem Felsen der trockenen Ebene könnte Gefahr lauern. Es sind die 1860er-Jahre: Der Bürgerkrieg ist vorbei, Captain Jefferson (Hanks) hat vier Jahre gekämpft, seine Druckerei verloren und zieht nun durchs gefährliche Land, um den Menschen aus der Zeitung vorzulesen. Wenn er schon keine Nachrichten drucken kann, will er sie zumindest so verbreiten. Um die Leute zu unterhalten und, wichtiger noch: zu informieren und aufzuklären.

Da geht Journalisten das Herz auf. Der Film ist eine Hommage an seriöse Berichterstattung. Sinnbildlich die Szene, in der ein junger Mann den Captain fragt, ob die Geschichte, die er vorgetragen hatte, denn auch stimme. „Na klar stimmt sie“, antwortet er, gibt dem Burschen die Zeitung – die der begierig liest und sich, nachdem er es schwarz auf weiß gelesen hat, glücklich bestätigt sieht.

Jefferson ist Kämpfer gegen die Fake News, die Weiße über Indianer und Schwarze verbreiten. Zwischen allen Fronten: Johanna (Zengel). In ihrem Leben spiegelt sich das Drama wider, das die verschiedenen Gruppen im Land einander antun. Die Zehnjährige ist Tochter von deutschen Einwanderern. Doch die wurden bei einem Angriff vom Indianerstamm der Kiowa umgebracht; die Kiowa nahmen das Kind auf. Wurden dann aber wiederum von Weißen ermordet. So findet der Captain das Mädchen allein in der Wildnis – und nimmt sich ihrer an.

Überzeugend spielt Zengel die traumatisierte Johanna. Die Harmonie zwischen ihr und Hanks, der wie so oft den gutmütigen Retter mit Knopfaugen gibt, stimmt. Empfehlung: Den Film im Original (Untertitel verfügbar) anschauen, denn Johannas schwache Erinnerungen an ihre Ursprungsfamilie werden mit der Zeit stärker, Worte fallen ihr wieder ein. Bilder im Kopf entstehen.

Auch der Captain hat düstere Erinnerungen. Doch während er sie verdrängen möchte, ist es an dem Mädchen, den Alten zu lehren, dass nur der von vorne beginnen kann, der zurückblickt. „Wir müssen uns wohl beide auf dieser Reise unseren Dämonen stellen“, räumt er ein. Es ist eine 119-minütige Odyssee, die von starken Bildern von Landschaft und Menschen lebt. Zengel und Hanks schauen wir gern zu, zum Schluss rühren sie uns zu Tränen. Sie beherrschen mit ihren Blicken die Bildfläche. Man hätte sie so gern auf einer größeren erlebt.

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