Morde – so nebenbei

von Redaktion

Ingrid Nolls „Kein Feuer kann brennen so heiß“ feiert wieder die Frauen

VON MELANIE BRANDL

„Plumplori“ hat ihr Vater sie als Kind genannt, weil sie angeblich ein „Trampeltier“ war – schusselig stolperte Lorina mit Kulleraugen durch ihr Leben als unerwünschte Tochter. Um als Erwachsene weiterem Mobbing zu entgehen, entschied sich das unglückliche Mädchen dann, Altenpflegerin zu werden in der Hoffnung, dass demente Greise ihre Makel nicht so genau unter die Lupe nehmen würden. Ihre Stelle in der Villa Alsfelder erweist sich schließlich als Glücksfall: Die gut betuchte ältere Dame weiß Lorinas Qualitäten durchaus zu schätzen, und die wechselnden Masseure entpuppen sich für die pummelige, unerfahrene junge Frau als potenzielle Möglichkeiten erster körperlicher Genusserfahrungen.

Gemeinsam mit der Haushälterin Nadine und einem frechen, kleinen Pudel mit einem Riecher für böse Buben entsteht eine skurrile Zweck-WG, in der Lorina zum ersten Mal das Gefühl von „Zuhause“ erlebt.

Doch Ingrid Noll, die 85-jährige Grande Dame der deutschen Kriminalliteratur, wäre sich selbst untreu, wenn nicht mindestens ein Toter in ihrem aktuellen Roman „Kein Feuer kann brennen so heiß“ auftauchen würde. Und – auch das ist typisch für Noll – der Täter ist natürlich weiblich. Und nicht wirklich böse oder per se eine mutwillige Mörderin…

Launig und verschroben kommt Nolls Story um Lorinas Versuch daher, mit allen Mitteln ein wenig Glück im Leben für sich selbst zu erhaschen. Auffällig auch: Alle Frauen von der alten Dame, die trotz des körperlichen Verfalls stets Würde und Anmut bewahrt, über Lorina, die tatkräftig anpacken und ihren Mann stehen kann, bis hin zu ihrer verwöhnten großen Schwester, die den ungewollten Nachwuchs wegen der asiatischen Gene des Vaters eiskalt im Stich lässt, haben Tiefe und Charakter.

Die Männer jedoch werden auf wenige wesentliche Charakterzüge reduziert. Boris, der erste Masseur, singt zwar gut, hat aber aufgrund seiner geringen Körpergröße eine massive Geltungssucht. Ruben, sein Nachfolger, rezitiert begnadet Gedichte, lechzt allerdings ebenfalls durch Unsicherheit und Komplexe skrupellos nach weiblicher Anerkennung jeder Art. Und auch der erst so nette Christian, Neffe von Frau Alsfelder, entpuppt sich letztlich als das, was ihm schon zu Beginn unterstellt wird: Er ist ein simpler verlogener Erbschleicher.

Auf klassische Krimi-Spannung wartet der Leser hier vergeblich. Es geht Noll schließlich nicht um die polizeiliche Aufklärung und Bestrafung grausamer Verbrechen. Dieser elementare Teil anderer Krimis spielt schlicht keine Rolle. Hier passieren Morde eher nebenbei, als zufällige, ungewollte Folgen von Geschehnissen, die in all ihrer Tragik nie die Komik verlieren. Und für die die Frauen, die sie begehen, in der Regel auch nicht büßen müssen. Ein atemloses „Pageturnen“ hat also auch Nolls neues Werk nicht zu bieten. Aber wer Lust auf eine launige, amüsante Krimi-Komödie hat, ist hier genau richtig.

Ingrid Noll:

„Kein Feuer kann brennen so heiß“. Diogenes Verlag, Zürich, 304 Seiten; 24 Euro.

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