Der Mensch in Lust und Leid

von Redaktion

Die Schau „Heckel – Einfühlung & Ausdruck“ im Bernrieder Buchheim Museum

VON SIMONE DATTENBERGER

Vor uns zieht sich ein Steg bis zum Horizont – oder ist’s eine sanft ansteigende Brücke? Werden wir sie betreten dürfen? Leider nein. Durch den Teil-Lockdown seit dem 2. November blieb der Weg unbenutzt. Die umfangreiche Ausstellung „Heckel – Einfühlung & Ausdruck“ im Bernrieder Buchheim Museum wurde am 30. Oktober eröffnet, um zwei Tage später geschlossen zu werden. Jetzt macht sie heute erneut ihre Tore auf. Und wir dürfen über die Holzbohlen in das Reich des expressionistischen Grafikers und Malers gehen.

Der Holzschnitt „Über den Hügel“ von 1908 markiert nach den Anfängen von 1903/04 das erste Aufgemerkt beim Heckel-Rundgang, der – tatsächlich – zu etwa 400 Arbeiten führt. Hatte der junge Hupfer, 1883 im sächsischen Döbeln geboren, mit der Jugendstil- und Japan-inspirierten Grafik eine beachtliche Markierung gesetzt – so verabschiedete sich der alte Könner, der 1970 in Radolfzell (Baden-Württemberg) starb, zum Jahreswechsel 1968 auf ’69 mit einem zart-zittrigen Altmänner-Porträt. Damals hatte Lothar-Günther Buchheim längst Kontakt zu dem Maler aufgenommen, der zwei Weltkriege zuvor mit Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff die Künstlergruppe „Brücke“ gegründet hatte, berühmt geworden war, von den Nazis verfemt und von der Bundesrepublik Deutschland zögerlich wieder beachtet wurde. Er war damit ein Künstler für Buchheims expressionistisches Sehnen und Sammeln.

Dieser Leidenschaft frönte auch Hermann Gerlinger, dessen Sammlung ans Buchheim Museum angedockt hat. So konnte Daniel J. Schreiber, Herr des Bernrieder Hauses am Starnberger See, aus einem Bestand von gut 500 Werken Erich Heckels auswählen; und diesen Rundumschlag noch ergänzen mit Bildern der „Brücke“-Kollegen. Die Sammlungen Buchheim und Gerlinger sind in der Exposition ein imposantes Duo, das bisweilen auftrumpft, aber meist feine Piano-Schattierungen erleben lässt: Heckel war wohl genauso.

Er zeigte Menschen in animalischer Ruhe beim Herumfläzen: etwa den Farbkracher „Schlafender Pechstein“ im Gartenstuhl oder die zierlichen, nackten Modelle im Atelier; und er zeigte Menschen in erschreckender Hinfälligkeit, die manchmal mit Vergeistigung einherging. Da ziehen einen ausgemergelte Körper in den Bann aus Sorge und Nachdenklichkeit, da tauchen Gesichter wie aus dem Grab auf. Aber auch Charakterköpfe schuf Erich Heckel, Porträts, keine expressiven Typen-Varianten. Wenn sich ihr Blick auf uns richtet, gibt es kein Zurück: Wir können uns nicht mehr in eine Betrachterdistanz flüchten. Wir sind gemeint.

In den Vierziger- und Fünfzigerjahren suchte Erich Heckel neue Möglichkeit, tastete sich zum Beispiel in seinen wunderbaren Stillleben an die Schablonen-Flächigkeit eines Henri Matisse heran, vertiefte sich gleichzeitig immer wieder in das individuelle Antlitz. Bewegend ist seine liebevolle Hinwendung zu verstorbenen Kollegen wie Kirchner oder Paul Klee. In den Grafiken überlagern sich die Schichten Erinnerung, ästhetische Strategie und psychologische Sensibilisierung. Nicht umsonst heißt die Schau im Buchheim Museum „Einfühlung & Ausdruck“. Solch Feinnervigkeit ist von Anfang an im Schaffen Heckels zu erspüren. Der „coole“ Expressionist einer urbanen, gehetzten Welt war er nie.

So scheute er weder vor einem religiösen Motiv wie der „Madonna von Ostende“ – 1916 im Krieg für die Soldaten unendlich wichtig – zurück, noch vor dem traditionellen Genre der Landschafts- oder Stilllebenmalerei. Als Bayerin geht einem insbesondere bei den Bergen das Herz auf. Er versuchte es erst gar nicht mit der nach dem Zweiten Weltkrieg favorisierten ungegenständlichen Kunst. Zum Glück respektierte man schließlich den einst Verfemten, machte ihn in Karlsruhe zum Professor und lud ihn 1955 zur ersten Documenta nach Kassel ein. Danach würdigten ihn große Retrospektiven – auch in München.

Bis 6. Juni,

Di.-So. 10-17 Uhr; Katalogbuch: 32 Euro; Online-Ticket (auch bei Inzidenz unter 50!): www.buchheimmuseum.de.

Artikel 8 von 9