Zu Lebzeiten waren sie sich oft uneins, und bis heute überstrahlt das literarische Werk Thomas Manns jenes des älteren Bruders. Dabei entfalten die Romane von Heinrich Mann nicht nur auf erzählerischer Ebene einen Sog. Die Stimmung, die er einfängt und seziert (allen voran in „Der Untertan“), ist beklemmend aktuell. An diesem Samstag jährt sich der Geburtstag des Schriftstellers zum 150. Mal. Geboren in Lübeck, schrieb Heinrich Mann als Jugendlicher erste Novellen und Gedichte. 1889 begann er eine Buchhändlerlehre, zwei Jahre später wechselte er zum Verlag S. Fischer nach Berlin. Neben Volontariat und Studium verfasste er Zeitungsartikel. 1894 erschien sein erster Roman, „In einer Familie“. Ab 1895 lebte er in Italien, zeitweise mit Bruder Thomas zusammen.
1905 erschien mit „Professor Unrat“ eines seiner bekanntesten Werke. Heinrich Mann nimmt hier die Verkommenheit der Gesellschaft aufs Korn, und zentrale Themen seines Gesamtwerks spielen bereits eine Rolle: die Menschenfeindlichkeit, wenn auch eher unter satirischen Aspekten, und das Verhältnis zwischen Tyrann und Untertanen. 1930 wurde der Roman verfilmt. „Der blaue Engel“ mit Emil Jannings und Marlene Dietrich war einer der ersten Tonfilme überhaupt – und gilt trotz Kritik der Zeitgenossen bis heute als Meilenstein der Kino-Geschichte.
Zuvor hatte der Erste Weltkrieg zu einem Zwist zwischen den Mann-Brüdern geführt. Thomas befürwortete den Krieg, Heinrich war dagegen. Den Streit trugen sie über Essays aus; über Jahre hatten beide keinen persönlichen Kontakt. 1918 gipfelte die Auseinandersetzung in Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“ – ein bis heute umstrittener Text, von dem er sich bald distanzieren sollte. Erst 1922 näherten sich die Brüder wieder an. Enger verbunden war Heinrich seinem Neffen Klaus, der mit Romanen wie „Der fromme Tanz“ und „Mephisto“ ebenfalls weltweit bekannt wurde.
Zu Beginn des Krieges musste Heinrich Mann zudem die Veröffentlichung von „Der Untertan“ abbrechen. 1918 erschien die erste Buchausgabe des Textes, der sein erfolgreichstes Werk werden sollte. Die Hauptfigur Diederich Heßling gilt als Prototyp des Mitläufers. Schriftsteller-Kollege Kurt Tucholsky erklärte, Heßling sei kein Faschist, habe aber das Zeug dazu. Er verkörpere den „deutschen Machtgedanken“ und stehe stellvertretend für die „kleinen Könige, wie sie zu Hunderten und Tausenden in Deutschland leben und lebten“.
Entscheidend für die Wirkung des Buchs, das bis heute an Schulen gelesen wird, ist die Wiedergabe der Zeitumstände des ausgehenden Kaiserreichs. Zum Beispiel diese Szene aus der Schulzeit Diederichs: Auf einem Pult errichtet er ein Kreuz und zwingt den einzigen Juden der Klasse, davor niederzuknien. Stark fühlt er sich durch den Beifall der Umstehenden, als handle durch ihn „die Christenheit von Netzig“, seiner fiktiven Heimatstadt. Antisemitismus ist nicht das zentrale Thema des Romans, doch umso erschütternder ist die beiläufige Verachtung, mit der die Figuren jüdischen oder auch schwarzen Mitmenschen begegnen. Diesem wegweisenden Werk war indes eine wechselvolle Geschichte vorangegangen. In jungen Jahren gab Heinrich Mann die radikal antisemitische Zeitschrift „Das zwanzigste Jahrhundert“ heraus, verfasste dafür auch eigene Beiträge, die antisemitische Klischees bedienten. Später bezeichnete Mann die Zeitschrift als „reaktionäres Wurschtblatt“ und wandte sich der Sozialdemokratie zu. Nachdem er 1933 einen Aufruf zur Einigung von SPD und KPD unterzeichnet hatte, wurde er aus der Akademie der Künste ausgeschlossen und ging ins Exil nach Nizza.
Von dort veröffentlichte Mann die historischen Romane „Die Jugend des Königs Henri Quatre“ (1935) und „Die Vollendung des Königs Henri Quatre“ (1938). 1940 floh er in die USA. Das Land blieb ihm jedoch stets fremd, zehn Jahre später sollte er dort einsam sterben. Im Jahr zuvor hatte sich sein Neffe Klaus das Leben genommen – wie schon seine Schwestern Clara (1910) und Julia (1927) sowie 1944 seine zweite Ehefrau Nelly. 1961 wurde die Urne Heinrich Manns nach Deutschland überführt: Die Grabstätte auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin zählt zu den Ehrengräbern des Landes.
„Der Untertan“
ist ab sofort in einer technisch überarbeiteten, historischen, 19-teiligen Aufnahme mit Hans Korte im Podcast-Center des BR zu hören (www.br.de/mediathek/podcast); zusätzlich gibt es die Produktion als Lesung im Radioprogramm von Bayern 2 ab heute bis 12. August, immer donnerstags von 21 bis 22 Uhr.