Seine Filme haben Seele

von Redaktion

NACHRUF  Trauer um den französischen Regiemeister und Jazzliebhaber Bertrand Tavernier, der im Alter von 79 starb

VON ZORAN GOJIC

Viel entmutigender kann eine Karriere beim Kino kaum beginnen: Bei seinem ersten richtigen Film-Job als Regieassistent des großen Jean Pierre Melville eröffnet der Meister dem jungen Bertrand Tavernier nach ein paar Tagen, dass er zu schlecht sei, und kündigt ihm. Allerdings darf er als Presseagent bleiben und nutzt die Chance zu lernen, wie man einen Film macht. Eines vor allem nimmt er aus dieser Erfahrung mit: Ein rücksichtsloser Tyrann wie Melville will er nie sein. Beim Drehen mit Tavernier (Foto: Ian Langsdon/EPA) geht es immer freundlich zu, alle sollen mit Begeisterung mitarbeiten. Tavernier ist eines jener jungen französischen Wunderkinder, die als Filmkritiker beginnen und später als Regisseure eine Epoche des europäischen Kinos prägen: François Truffaut, Eric Rohmer, Jean-Luc Godard.

Tavernier lässt sich von Melville also nicht entmutigen und darf 1974 dann doch selber ran, weil er es schafft, den Star Philippe Noiret zu bequatschen, in dem Thriller „Der Vollstrecker“ die Hauptrolle zu übernehmen – für einen Bruchteil seiner üblichen Gage. Es wird ein Überraschungserfolg, der bei der Berlinale den Spezialpreis der Jury gewinnt. Fortan dreht Tavernier einen Film nach dem anderen und: Es sind allesamt gute Filme. Drei Dutzend Regiearbeiten sind es letztlich geworden. Tavernier ist anders als viele seiner französischen Kollegen offen für so ziemlich alle Genres, liefet auch mal wunderbaren Quatsch wie den Kostümfilm „D’Artagnans Tochter“ ab. Meist aber ist er ernst, ohne je akademisch zu werden. Seine Filme haben Seele.

Die Qualität von Klassikern wie „Der Saustall“ oder „Ein Sonntag auf dem Lande“ liegt darin, dass er seine Figuren emotional zeichnet, ohne je sentimental zu werden. Um den Zuschauer zu berühren, muss man die Kontrolle über die Geschichte behalten. Exemplarisch zu begutachten ist das etwa in „Es beginnt heute“. Ohne einen Hauch von Sozialromantik erzählt Tavernier von einem engagierten Lehrer in einem Brennpunktviertel, der trotz ständiger Nackenschläge unverdrossen um jedes Kind kämpft. Es ist seine Arbeit, und der geht er nach. Der Zuschauer wird eingesogen in diese Welt und leidet bald regelrecht mit. Ein magischer Meilenstein gelingt Tavernier mit „Round Midnight“, einem verführerischen Porträt der Jazzszene in Paris. Unter Musikfans genießt er beinahe kultische Verehrung, wegen der unvergesslichen atmosphärischen Bilder. Ein Film, der im Grunde ohne Handlung funktioniert; das ist Taverniers Meisterstück. Nun ist Bertrand Tavernier mit 79 Jahren gestorben und hat nach eigener Aussage immer nur das gemacht, was ihm Freude bereitet. Das muss man erst mal sagen können.

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