Film ab fürs alte Hollywood

von Redaktion

Die Idee zu „Mank“ entstand 1992 – jetzt hat das Drama zehn Oscar-Chancen

VON MICHAEL SCHLEICHER

Er war eine Art Notarzt Hollywoods, häufig gerufen, um die hoffnungslosen Fälle zu retten. Ein Notarzt freilich, der aufgrund seiner Alkoholsucht oft selbst auf Hilfe angewiesen war. Herman J. Mankiewicz (1897-1953), den alle „Mank“ nannten, war in den Dreißiger- und Vierzigerjahren ein erfolgreicher Drehbuchautor der Traumfabrik. Die Studiobosse setzten auf seine Ideen, sein Talent, seinen Witz, wenn es darum ging, Skripte anderer zu polieren – dabei wurde sein Name nicht immer im Abspann genannt. Mankiewicz, dessen Eltern 1892 aus Berlin in die USA kamen, schrieb etwa an Filmen mit wie „Dinner um acht“ (1933), „Der Zauberer von Oz“ (1939) oder „Der große Wurf“ (1942).

Sein Meisterwerk ist indes das Drehbuch zu Orson Welles’ „Citizen Kane“ (1941) – wobei die Filmwissenschaft darüber streitet, wer welchen Anteil am Text hat. Mank und der britische Regisseur sind gemeinsam als Autoren genannt. In ihrem aufsehenerregenden Essay aus dem Jahr 1971 erklärte die Kinokritikerin Pauline Kael allerdings, Mankiewicz habe die meiste Arbeit allein geleistet. Eine These, die nun David Finchers neuer Film stützt.

Letztlich ist das jedoch egal. Denn „Mank“, der beim Streamingdienst Netflix zu sehen ist und am 25. April Chancen auf zehn Oscars hat (wir berichteten), ist aus vielen Gründen eine hinreißende, bemerkenswerte Produktion. Und ihre Entstehungsgeschichte ist selbst filmreif.

Denn das Skript zu „Mank“ ist gut 30 Jahre alt. Der Journalist Jack Fincher, Vater des Regisseurs, schrieb das Buch Anfang der Neunziger. Das Problem damals: Der Autor beharrte darauf, dass „Mank“ in Schwarz-Weiß gedreht wird – als Verneigung vor dem alten Hollywood und „Citizen Kane“. Ein Risiko, das kein Studio eingehen wollte. Deshalb hat es „Mank“ nie in die Lichtspielhäuser geschafft. Erst Netflix war bereit, Finchers Forderung zu erfüllen. Die Zusage des Konzerns hat der Autor allerdings ebenso wenig erlebt wie die Tatsache, dass sein Sohn das Drama inszeniert: Jack Fincher erlag 2003 einem Krebsleiden. Logisch, dass der Film fortan für David Fincher zur Herzenssache wurde. Der 58-Jährige, der mit Arbeiten wie „Sieben“ (1995) und „Fight Club“ (1999) bekannt wurde, nahm für „Mank“ das erste Mal seit „Gone Girl“ (2014) wieder auf dem Regiestuhl Platz.

Ihm glückte Außergewöhnliches: ein Film in der Anmutung des alten Hollywood – voller Nostalgie, ohne je sentimental zu sein. Die Geschichte ist rasch erzählt: Nach einem Autounfall wird der alkoholkranke, abgewrackte Herman Mankiewicz 1940 im Nirgendwo der Mojave-Wüste auf einer Ranch untergebracht. Der junge britische Regie-Star Orson Welles hat ihn mit einem Drehbuch beauftragt. Darin lässt Mank seine Erinnerungen einfließen, ans Studiosystem der Filmstadt, an den Wahlkampf des „linken“ Schriftstellers Upton Sinclair um das Amt des kalifornischen Gouverneurs 1934, vor allem aber an den (einfluss-)reichen Verleger William Randolph Hearst, zu dessen Freundeskreis er gehörte und den er in „Citizen Kane“ porträtierte.

In Rückblenden erzählt Fincher von dieser Dekade Hollywoods. Dabei hat er gewissenhaft die Atmosphäre alter Filme herausgearbeitet: Da schnarrt mal die Tonspur, da krisselt kurz das Bild, da flirren kleine Kratzer über die Szene. Alles Absicht, denn gedreht wurde digital in hoher Auflösung. Um aber die Optik der Werke von einst zu erzielen, hat das Team danach die Bilddaten so weit heruntergerechnet, bis „Mank“ leicht diffus und damit zeitgenössisch aussah. Sogar Überblendungszeichen hat Fincher eingefügt: Als Filme noch ausschließlich auf Zelluloid gebannt wurden, signalisierte dieser kleine Marker rechts oben dem Vorführer, wann ein Wechsel der Filmrolle anstand.

Getragen wird „Mank“ jedoch vom munter aufspielenden Ensemble, dessen Anker Gary Oldman in der Titelrolle ist. Es beeindruckt, wie es dem Briten gelingt, die Stimmung einer Szene durch minimale Veränderungen in Gestik und Mimik zu verschieben.

Wer aber hat „Citizen Kane“ denn nun geschrieben? Fincher legt sich fest. Ihren Oscar fürs beste Drehbuch haben 1942 indes weder Mank noch Welles abgeholt. Beide waren am Abend der Verleihung verhindert.

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