Gesichter und Geschichten

von Redaktion

Der Band „Faces“ erinnert an den Fotografen und Kameramann Helmar Lerski

VON MICHAEL SCHLEICHER

Als Robert Reinerts Stummfilm „Opium“ 1919 in die Lichtspielhäuser kam, jubelte die Kritik. „Ein Meisterwerk deutscher Filmkunst“, schrieb etwa Heinz Schmid-Dimsch über das Drama. Neben Drehbuch und Ensembleleistung lobte die Presse damals auch die technische Umsetzung des Stoffs. Im Magazin „Der Film“ hieß es: In „Opium“ gebe „die Photographie mit ihrer eigenartigen Technik Bilder her, wie sie in Deutschland noch nicht gesehen wurden und die auch für das Ausland ein Novum bedeuten dürften“.

Dieses Lob ging an Helmar Lerski. Der Schweizer Fotograf und Kameramann (1871-1956) gehört zu jenen Künstlern, die das deutsche Kino der Zwanzigerjahre prägten – und die Porträtfotografie revolutionierten. Ein wunderbarer Bildband würdigt jetzt äußerst kenntnisreich sein Schaffen und blickt umfassend auf die Fotokunst der Zwischenkriegsjahre.

Im Zentrum des Buches (und der Ausstellung, die bis 24. Mai in der Wiener Albertina zu sehen ist) steht aber Lerski. Er führte die Kamera etwa bei Paul Lenis „Das Wachsfigurenkabinett“ von 1924, einem Klassiker des expressionistischen Films. Er rückte Leni Riefenstahl und Luis Trenker in Arnold Fancks „Der heilige Berg“ (1926) ins rechte Licht und folgte im selben Jahr in „K 13 513“ dem „Abenteuer eines Zehnmarkscheines“. Berthold Viertels Werk gilt als verschollen; bekannt ist aber Siegfried Kracauers Kritik, der sich in der „Frankfurter Zeitung“ für eine „Reihe erregender Bildausschnitte aus ungewohnten Perspektiven: Straßenbilder, symbolische Details“ begeisterte.

Lerski wurde 1871 als Israel Schmuklerski, Sohn einer polnisch-jüdischen Familie, in Straßburg geboren und wuchs in Zürich auf. Ende des 19. Jahrhunderts versuchte er sich in den USA als Theaterschauspieler – glücklos. Seine Bestimmung fand er 1910, als er mit seiner Frau in Milwaukee ein Fotostudio einrichtete. Hier begann er, vor allem mit der Lichtsetzung zu experimentieren. „Was sich zeigte, was mich traf wie ein Blitz, war nicht Beleuchtung, sondern Durchleuchtung, so daß mir war, als ich auf die Mattscheibe blickte, als sähe ich in den Menschen hinein“, erinnerte er sich später. Das Spiel mit dem Licht, die Inszenierung eines Gesichts durch Beleuchtung wurde Merkmal seines Schaffens – und war bahnbrechend für die Kunst der Neuen Sachlichkeit.

Die Fähigkeiten und Techniken, die Lerski in den USA erwarb und perfektionierte, stellte er nach der Rückkehr in den Dienst des Kinos der Weimarer Republik. Zur Meisterschaft brachte er sein Können jedoch in drei Porträtserien: „Köpfe des Alltags“, zwischen 1928 und 1931 in Berlin mit Arbeitslosen entstanden; „Araber und Juden“, für die Lerski bereits 1931 bei einem Besuch in Palästina fotografierte – nach seiner Emigration 1932 vollendete er die Reihe; und schließlich „Verwandlungen durch Licht“ (1935/36). Sein Hauptwerk würdigt der neue Bildband ausführlich. Auf einer Dachterrasse in Tel Aviv schuf Lerski Nahaufnahmen des Hochbautechnikers Leo Uschatz. Mit Spiegeln und Reflektoren leitete er dabei das Sonnenlicht immer wieder anders und inszenierte somit neue Stimmungen. Die 137 Bilder belegen eindrucksvoll Lerskis Überzeugung, dass ein Künstler durch die Beherrschung des Lichts und die Kameraführung ein Modell nach seinen Vorstellungen gestalten könne. Damals entstand über den Dächern der Mittelmeerstadt der moderne Lichtbildhauer.

Walter Moser (Hrsg.):

„Faces – Die Macht des Gesichts“. Hirmer Verlag, München, 248 S.; 45 Euro.

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