Wer bin ich?

von Redaktion

Wie eine Verabredung unter Freunden: Spaziergang durch vier Münchner Galerien

VON TERESA GRENZMANN

Es sind Dinge, die in Zeiten von sozialer Distanz am meisten fehlen: Gemeinschaft, Nähe, Berührung, Gesichter… Wir haben sie dennoch gefunden, mitten in der Stadt – in vier Münchner Galerien, in Begegnungen mit der Kunst. Ihr Besuch kostet nur einen Anruf und ist dann meist sogar spontan möglich, nicht viel anders also als eine Verabredung unter Freunden.

Bei Rüdiger Schöttle sind „Portraits“ Programm. Zahlreiche „BesucherInnen“ in Gestalt von Gemälden, Fotografien und Skulpturen erwarten ihre Betrachter, um mit ihnen in Augenkontakt zu treten (Thomas Ruff, Alex Katz), ohne Maske zarte Emotionen zu zeigen (Leiko Ikemura), dabei vielleicht wie Stephan Balkenhols hölzerne Alice im Wunderland „Wer bin ich?“ zu fragen. Die spannende, weltumspannende Hängung im Obergeschoss vermittelt das Gefühl, unter Leuten, Individuen zu sein, die viel zu erzählen haben. Währenddessen posieren Thomas Struths „Felsenfeld/Gold Families“ vor einer riesigen Weltkarte (bis 8. Mai, Amalienstraße 41, Telefon 089/33 36 86, www.galerie-schoettle.de.)

Gefördert von der Stiftung Kunstfonds, zeigt die Galerie Andreas Binder „FOR FREE* (*artists are not working FOR FREE)“, das Ergebnis eines solidarisch-kreativen Aufrufs unter Künstlerinnen und Künstlern, jungen wie etablierten. Initiiert von Daniel Man, wurden sie aufgefordert, ein Werk in DIN A3 einzureichen, um in einer Schau den Zusammenhalt innerhalb der vielgestaltigen Szene symbolisch darzustellen. Der Gesamterlös der verkauften Arbeiten wird unter allen Beteiligten aufgeteilt.

Sowohl die homogene Zusammenschau der heterogenen Werke als auch die virtuelle Auswertung des Fragebogens zur Auftrags- und Gefühlslage der Künstler während der Pandemie setzen ein unbedingt sehenswertes kollektives Zeichen. Die insgesamt 105 Einsendungen kommen aus der ganzen Welt; „abgesagt“ ist das am häufigsten genannte Schlagwort (bis 5. Juni, Knoebelstraße 27, Telefon 089/21 93 92 50, www.galerieandreasbinder.de.)

Vis-à-vis vom Englischen Garten lädt Carol Johnssen in die geräumige Altbauwohnung ihrer Galerie. „ZOOM“ lautet ihre von Neustart Kultur und Stiftung Kunstfonds geförderte Antwort auf die Krise – natürlich auch in Anspielung auf die seit Covid-19 unverzichtbaren Videokonferenzen. Die um den Raum-Baumeister Ben Willikens und einige seiner Schüler arrangierte Ausstellung kreist um Nahaufnahmen, Perspektiven, optische Täuschungen, gemalte Emotionsräume aus Licht oder Farbe. Der Betrachter ist – wie bei Johannes Wendes Papier-Variationen in DIN A4 – zum Entschlüsseln und manchmal – wie bei Philipp Goldbachs winzigen philosophischen Bleistift-Thesen – auch zum Heranzoomen aufgefordert (bis 30. April, Königinstraße 27, Telefon 089/280 99 23, www.artcarol.de; Katalog: Hirmer, ab 14. April.)

Wer sich nach fremden Wohnzimmern sehnt, der braucht nur einen Schritt über die gekachelte Schwelle von Julia Lachenmanns Belleparais zu tun. Die erst im September 2018 eröffnete zeitgenössische Galerie versteht sich im Übergang zwischen privatem und öffentlichem Raum als Mittlerin für die existenzielle Erfahrung von Kunst. „Unternehmerinnen III“ ist eine sich verändernde Schau über drei Generationen von Künstlerinnen (geboren 1982 bis 1993) hinweg.

Tatsächlich hat man das Gefühl, die Werke in den beiden schmalen Räumen korrespondieren auch ohne Betrachter auf eine zurückhaltende und doch selbstbewusste Art. Sie alle – von den Farbmodulationen der übergroßen Handsiebdrucke Karin Peulens über die Collagen der Fritz-Winter-Schülerin Marion Bembé zur schwebenden Mutter-Kind-Bronze von Anneliese Zenzmaier – wirken weniger ausgestellt als vielmehr integriert. Ein Besuch zum Wohlfühlen, Entdecken und Berührenlassen (bis 11. Juni, Schellingstraße 54, Telefon 0176/96 34 65 84, www.belleparais.com).

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