Erst kamen die Miniröcke, dann kam Vivienne Westwood. Und sah. Und siegte.
Nach Mary Quant war sie die zweite britische Designerin, die ihre Kollektionen in Paris, der Capitale de la Mode, präsentierte. Quant hatte dort 1963 mit ihren Minis für Furore gesorgt. Westwood legte 1982 nach – und tut es noch immer.
Heute feiert das vogelwilde Gesamtkunstwerk von einer Frau ihren 80. Geburtstag. Ein typisches Aprilkind: Sie macht, was sie will.
Der Vater Schuhmacher, die Mutter Baumwollspinnerin, wollte Vivienne, die 1941 nahe Manchester zur Welt kam, schon immer eines werden: Künstlerin. Zwar brach sie ihr Kunststudium nach einem Semester ab, eine Kreateurin wurde sie jedoch auch ohne Universitätszertifikat. Zusammen mit ihrem zweiten Ehemann Malcolm McLaren, späterer Manager der Sex Pistols, eröffnete sie 1970 auf der Londoner King’s Road einen Laden für Schallplatten und von ihr entworfener Mode. Er wurde zum Treffpunkt der Punk-Rock-Szene. Und Westwood zu ihrer Ikone. Die jungen Wilden liebten ihre damaligen Kreationen aus Sicherheitsnadeln, Netzhemden und Nietenarmbändern. So wurde sie zur Erfinderin des Punk-Looks.
Das Designen hatte sie sich selbst beigebracht. Sie tat einfach, was sie schon als Mädchen mit ihrer Schuluniform getan hatte: Bestehendem provokante Details hinzufügen; wild kombinieren. Nähte auftrennen, um Schnittmuster zu verstehen – und nach eigenen Entwürfen ohne Muster, doch mustergültig Neues kreieren.
Der Laden hieß anfangs „Let it rock“, und so wie Westwood ihren Stil weiterentwickelte, so änderte sich auch der Name bis 1979 immer wieder. Seither lautet er „World’s End“. Ein schmales Häuschen ist diese Boutique mit einer überdimensionalen Uhr wie aus dem Märchen über der Eingangstür. Darauf 13 Zahlen, die Zeiger rasen rückwärts. Das hat was von „Alice im Wunderland“ – doch Westwood spielt nicht die Alice, sondern gleicht einer verrückten Hutmacherin, die immer neue Überraschungen aus ihrem Zylinder zaubert.
Diese Frau mag 2006 von der Queen zur Dame ernannt worden sein – doch im Herzen bleibt sie Punk. Eine, die selbst während der Ehrung von höchster königlicher Stelle keine Unterwäsche trug. Es ist eine gern erzählte Geschichte: Als Fotografen sie am Tag der Auszeichnung baten, sich im Kreis zu drehen, damit ihr Rock Marilyn-Monroe-artig für die Fotos flöge, entdeckten sie darunter – nichts. Denn die Westwood trägt niemals Höschen unterm Röckchen. Vielleicht aus Provokation, vielleicht aus Bequemlichkeit. In jedem Falle: weil sie sich nichts vorschreiben lässt. Damit ist sie sinnbildhaft für eine Zeit, in der Individualismus als höchste Maxime auf dem Weg zum Glück gilt. Doch wo alle modischen Tabus bereits gebrochen sind, ist es gar nicht so leicht, seinen eigenen Stil zu finden. Waren Bart und lange Haare einst ein Zeichen für Rebellion, wirkt jeder Hipster heute angepasst wie Popper in den Achtzigern.
Nicht so Westwood. Sie tanzt zwischen den Welten und bleibt dabei immer ganz bei sich. Zwischen Popkultur und Untergrund, zwischen Königshaus und Arbeiterklasse, zwischen Catwalk und Burgtheater. 30 Jahre lang lebte sie bescheiden in einer Sozialwohnung in London; engagiert sich seit Jahrzehnten mit mitunter recht kauzigen Videos auf ihrer Homepage und bei Vorträgen für den Klimaschutz; kämpft für die Freiheit von Wikileaks-Gründer Julian Assange; hat für das Wiener Burgtheater Kostüme geschneidert und plädiert öffentlich für ein „Weniger ist mehr“ – statt billige Kleidung in Massen zu kaufen, solle man, so appelliert sie, lieber auf hochwertige, langlebige Stücke setzen.
Doch gleichzeitig ist Westwood eben auch Teil des big (Mode-)Business: Sie hat Dependancen überall auf der Welt; die Schönen und Reichen tragen ihre Entwürfe. Spätestens seitdem Sarah Jessica Parker in „Sex and the City“ ein Hochzeitskleid von Westwood wählte, träumen auch aufgespritzte Influencerinnen vom Label mit dem Reichsapfel im Logo. Man wünscht ihnen, dass sie sich das ein oder andere Stück kaufen können. Kleider machen Leute – ein bisschen was von dieser Lady abgefärbt zu bekommen, kann nicht schaden.