„Das eigentliche Kunstwerk ist, was im Kopf des Betrachters passiert“, erklärt der Maler und Objektkünstler Ugo Dossi seine eigens für das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst München (SMAEK) konzipierte Schau „Zeichen & Wunder“. So einiges passiert, sobald man den riesigen Ausstellungsraum betritt. Und das liegt nicht allein an dem beeindruckenden Saal mit seiner hohen Decke, dem Dossi eine ganz eigene, spezielle „Majestät“ zuschreibt. „Als mich Professor Dietrich Wildung vor Jahren fragte, ob mir zu diesem Raum etwas einfiele, musste ich nicht lange überlegen“, sagt Dossi begeistert. Doch zuvor standen für den gefragten Künstler noch andere Projekte an, und anschließend verhinderten Covid-19 und der erste Lockdown eine Umsetzung.
„Die jetzige Ausgestaltung des Raumes ist sozusagen ein Geschenk von Corona“, fasst Dossi zusammen. „Anfangs hatte ich ein vollkommen anderes Konzept im Kopf, an dem ich bereits in meinem Atelier in Italien gearbeitet hatte. Doch dann konnte ich erst einmal nicht wieder dorthin zurück und versuchte hier in Bayern, die fehlenden Unterlagen aus Italien zu rekonstruieren. Letztlich habe ich alles noch einmal auf den Kopf gestellt und komplett verändert. Damit bin ich inzwischen viel glücklicher als mit meinem ursprünglichen Plan.“
„Rebis“ heißt die aktuelle Werkreihe des mehrfachen Documenta- und Biennale-Teilnehmers. Mit diesem Begriff, der vom lateinischen „res bina“ – „zwei Dinge“ – abgeleitet ist, bezeichnet man laut AnthroWiki in der Alchemie „die Vereinigung zweier Prinzipien zu einem höheren Dasein“. Dossi, Jahrgang 1943, kombiniert zu diesem Zweck altägyptische Hieroglyphen mit Bildern, Skizzen und Objekten seiner eigenen Fantasie. „Kommen zwei Zeichen zusammen, entsteht ein neues, hybrides Wesen“, erläutert er sein „Rebis“-Projekt.
In scheinbar locker hingeworfenen Grafit-Skizzen mit Neon-Sprühfarbe, aufwendigen holografischen Hinterglas-Collagen und Skulpturen aus Holz und Stein entführen Dossis intelligente Bilderrätsel zu einer Gedankenreise ins alte Ägypten und in den eigenen Kopf. Denn ihre ganze Kraft entfalten die mitunter scheinbar völlig unprätentiös gestalteten Werke, genau wie es sich der Künstler wünschte, erst durch das Nachdenken über die gezeigten Zeichen. Über Sterne, Götter, die Unendlichkeit oder den Mund der Nofretete, deren Gesicht ja bis in die Gegenwart als vollkommene Schönheit gilt.
Hieroglyphen besitzen bis heute eine große Faszination. Ihre Bedeutung erschließt sich für große und kleine Besucher ähnlich schnell. Dossi, Grenzgänger zwischen Kunst und Psychologie, aktiviert mit originellen Bildern bei jedem Menschen andere Emotionen und Traumwelten. Alltag und Religion, Diesseits und Jenseits, Glaube und spirituelle Stärke – alles verbindet sich angesichts seiner Werke: Egal, ob es sich um das Himmelsportal aus Acrylglas mit dem markanten Auge in der Mitte handelt, das er als Standbild aus einem Video abgefilmter Wasserwirbel extrahierte, oder um die diagonal im Raum angeordneten, geschickt ausgeleuchteten Holzstelen, in deren Schatten sich die Umrisse von Königin Nofretete erkennen lassen oder der Göttin Sekmet, deren Original-Skulpturen man in anderen Räumen des Museums finden kann.
Nimmt man sich ein wenig Zeit und lässt sich darauf ein, wirft jedes Exponat beim Betrachter das persönliche Kopfkino an. Und das verstummt beim Verlassen des Museums noch lang nicht.
Bis 27. Juni,
Mi.-So. 10-18 Uhr,
Di. 10-20 Uhr, Gabelsbergerstraße 35; Karten gibt es ausschließlich online unter www.muenchenticket.de oder telefonisch unter 089/54 81 81 81 mit einem festen Einlass-Zeitpunkt. Die Aufenthaltsdauer im Haus ist nicht beschränkt.